Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufwendungen für Schulbücher. ergänzende Sozialhilfe. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. Abgrenzung atypischer vom erhöhten Bedarf gem § 28 Abs 1 S 2 SGB 12. Lernmittelfreiheit bzw -gutscheine an öffentlichen Schulen
Leitsatz (amtlich)
1. Notwendige Aufwendungen für Schulbücher sind durch den zuständigen Träger der Sozialhilfe als Hilfe in sonstigen Lebenslagen gem § 73 SGB 12 und nicht aus der Regelleistung nach § 20 SGB 2 zu tragen.
2. Die Belastung eines Schülers mit den Aufwendungen für notwendige Schullektüre stellt eine atypische Bedarfslage dar, da sich die Höhe der Regelleistung an dem Bedarf von Erwachsenen orientiert, denen in der Regel keine Kosten für Schulbücher entstehen.
Orientierungssatz
1. Eine atypische Bedarfslage ist von einem nur erhöhten Bedarf gem § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 abzugrenzen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 und vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R).
2. Nach § 70 Abs 1 und 4 SchulG RP 2004 iVm LernMFrhV RP besteht nach Maßgabe unterschiedlicher Einkommensgrenzen Lernmittelfreiheit an den öffentlichen Schulen. Schülerinnen und Schüler, deren Personensorgeberechtigten bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten, haben Anspruch auf einen Lernmittelgutschein, der je nach Schulart, Klassenstufe sowie der Anzahl der Kinder in der Familie einen unterschiedlichen Wert hat. Deckt der Gutschein nur einen Bruchteil der notwendigen Aufwendungen für die Anschaffung von Schulbüchern ab, dann ist der Restbetrag nach § 73 SGB 12 vom Sozialhilfeträger zu übernehmen, um eine Ausgrenzung oder Ungleichbehandlung zu vermeiden.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 11.01.2007 geändert und der Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger für das Schuljahr 2005/2006 für die Kosten der Schulbücher einen Betrag in Höhe von 139,20 € zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Beigeladene trägt die außergerichtliche Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für Schulbücher für das Schuljahr 2005/2006 streitig.
Der am … 1990 geborene Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Mutter eine Wohnung in D.. Die Mutter des Klägers besucht seit dem Wintersemester 2000/2001 die Universität M. und bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Ergänzend erhält sie von der Beklagten Leistungen für Mehrbedarfe bei Alleinerziehung nach § 21 Abs. 3 SGB II.
Der Kläger besuchte im Schuljahr 2005/2006 die 9. Klasse des T. -Gymnasium in L.. Den Schülern seiner Klassenstufe wurde eine Liste mit für die 9. Klasse erforderlichen Schulbüchern ausgehändigt. Entsprechend dieser Liste kaufte der Kläger das Geschichtsbuch "Geschichte und Geschehen C 3" zum Preis von 23,20 €, das Mathematikbuch "Lambacher Schweizer 9" zum Preis von 21,20 €, das Buch für Bildende Kunst "Sehen, Verstehen, Gestalten III" für 22,50 €, das Kursbuch Religion für 18,95 €, für den Deutschunterricht ein Sprach- und Lesebuch für 23,95 € sowie ein Arbeitsheft für 8,50 € sowie für den Lateinunterricht das PONS Wörterbuch für Schule für 24,50 €. Weiterhin erwarb er ergänzend zu dem Mathematikbuch "Lambacher Schweizer" ein Arbeitsheft für 5,90 €. Am 31.08.2005 legte der Kläger die Rechnungen für die Schulbücher bei der Beklagten vor und beantragte unter Anrechnung des erhaltenen Lernmittelgutscheins in Höhe von 59,00 € die Kostenübernahme für die Schulbücher in Höhe von 89,70 €.
Mit Bescheid vom 08.09.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für Schulbücher ab. Mangels einer Anspruchsgrundlage könne die beantragte Leistung nicht als Zuschuss bewilligt werden. Die zusätzlich zur Regelleistung bewilligungsfähigen Leistungen seien in § 23 Abs. 3 SGB II abschließend geregelt. Schulbücher oder andere denkbare "Sonderbedarfe" seien hier nicht genannt. Der Bedarf für Schulbücher werde vom Gesetzgeber als Bestandteil der Regelleistung gesehen und sei deshalb aus diesen Mitteln zu bestreiten. Zugleich bot die Beklagte dem Kläger jedoch die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 1 SGB II an. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 15.09.2005 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, die Übernahme der Kosten für Schulbücher stelle für ihn eine unbillige Härte dar. Der Lehrmittelgutschein für die Klassenstufe 9 der Gymnasien in Rheinland-Pfalz betrage lediglich 59,00 €. Die Schulbuchlisten und der Differenzbetrag zum Gutschein würden von Schule zu Schule erheblich variieren. Diese finanziellen Schwankungen könnten keinesfalls aus der Regelleistung abgedeckt werden. Im Übrigen sei Rheinland-Pfalz eines der wenigen Bundesländer, in denen die Schulbücher nicht vom Land gestellt würden. In M. würde er z.B. diese Kosten...