Entscheidungsstichwort (Thema)

Genehmigungsfiktion, Einstweiliger Rechtsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Grund einer Genehmigungsfiktion ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG zu gewähren.

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 22.6.2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Cannabis-Produkten entsprechend ärztlicher Verordnung längstens bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens und nur unter der Voraussetzung gilt, dass der Antragsteller in der Hauptsache bis spätestens einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses Klage erhebt.

2. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren zu tragen.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Cannabis hat.

Der 1983 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet unter Psoriasis vulgaris, Psoriasis-Arthropathie, einer Erkrankung der Haarfollikel sowie einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Mit Schreiben vom 07.04.2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 18.04.2017, teilte der den Antragsteller behandelnde Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, Suchtmedizinische Grundversorgung, Dr. G mit, beim Antragsteller befalle die Arthritis psoriatica praktisch alle Gelenke; es komme zu rezidivierenden Schmerzattacken sowie deutlicher Morgensteifigkeit von 60 Minuten. Nach mehrfachen Behandlungsversuchen werde zurzeit eine Schmerztherapie mit Tilidin durchgeführt, die nur einigermaßen befriedigend sei, da es immer wieder zu Durchbruchschmerzen komme. Nur durch eine multimodale Schmerztherapie sei zurzeit Arbeitsfähigkeit gegeben. Nach eingehender Beschäftigung mit dem Krankheitsbild und Durchforsten der therapeutischen Alternativen halte er bei dem Antragsteller eine Therapie mit Cannabis-Produkten für sinnvoll. Er sei mit der Apotheke vor Ort im Gespräch, um eine entsprechende Beschaffungslogistik aufzubauen. Er erbitte die Zusage der Kostenübernahme.

Mit Schreiben vom 26.4.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Arzt mit, vor der Bewilligung sei eine sozialmedizinische Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) notwendig. Hierfür werde um Beantwortung der Fragen in dem beigelegten Fragebogen gebeten. Mit Schreiben vom 5.5.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, eine Entscheidung über seinen Antrag sei innerhalb der gesetzlichen Drei-Wochen-Frist leider nicht möglich, weil sein Arzt bisher eine Anfrage noch nicht beantwortet habe. Sobald ihr die erforderlichen Unterlagen vorlägen, werde sie unverzüglich über den Antrag entscheiden. Am 9.5.2017 ging der vom Arzt ausgefüllte Fragebogen bei der Antragsgegnerin ein. Am 10.5.2017 übersandte die Antragsgegnerin die Unterlagen an den MDK und teilte dies dem Antragsteller mit. Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verordnung von Cannabis nicht erfüllt seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handle. Als alternative, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stünden medikamentöse und nicht medikamentöse Verfahren zur Verfügung (u.a. multimodale Schmerztherapie, soziales Kompetenztraining bei sozialen Kompetenzdefiziten und aggressiven Verhaltensstörungen, Einzel- und/oder Gruppen-Psychotherapie ggf. auch stationär). Zu den Alternativen liege keine begründete und nachvollziehbare Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten vor. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung von Cannabis auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome könne vorliegen. Mit Bescheid vom 31.5.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf die Beurteilung des MDK ab.

Am 6.6.2017 hat der Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt und beim Sozialgericht unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Mit Beschluss vom 22.6.2017 hat das Sozialgericht Koblenz die Antragsgegnerin vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verpflichtet, den Antragsteller mit einer Cannabis-Therapie entsprechend der Empfehlung von Dr. G vom 7.4.2017 zu versorgen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die begehrte einstweilige Anordnung sei zu erlassen, da der geltend gemachte Anspruch bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichend wahrscheinlich und die für den Fall des Unterbleibens der Leistung drohenden Nachteile für den Antragsteller schlechthin unzumutbar seien. Der Anspruch ergebe sich ...

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