Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Spätaussiedler. Zusammentreffen von eigener Rente mit Hinterbliebenenrente. Entgeltpunktebegrenzung

 

Orientierungssatz

1. Die Begrenzung der anrechenbaren Zeiten nach dem FRG auf 25 Entgeltpunkte findet keine Anwendung, wenn ein Begünstigter neben einem Recht aus eigener Versicherung ein abgeleitetes Recht auf Hinterbliebenenrente hat (Anschluss an BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 118/00 R = BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2, BSG vom 7.7.2004 - B 8 KN 10/03 R = BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2 und BSG vom 11.3.2004 - B 13 RJ 44/03 R = BSGE 92, 248 = SozR 4-5050 § 22b Nr 1).

2. Soweit das LSG Essen in seinen Urteilen vom 13.10.2004 - L 8 RJ 68/03 und L 8 RJ 107/04 von der Anwendbarkeit des § 22b Abs 1 S 1 FRG idF vom 21.7.2004 ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des RVNG gestützt auf § 300 Abs 1 SGB 6 ausgeht, vermag der Senat dieser Auffassung nicht zu folgen, da sie der Regelung in § 300 Abs 3 SGB 6 widerspricht.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

Die 1947 in der UdSSR geborene Klägerin war mit dem 1940 geborenen und ... 1996 verstorbenen Versicherten verheiratet. Seit dem 22.8.2000 lebt die als Spätaussiedlerin gemäß § 4 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) anerkannte Klägerin in Deutschland.

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 22.5.2001 ab dem 1.11.2000 eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zum 28.2.2002, die verlängert wurde.

Auf den Antrag der Klägerin vom 13.11.2000 bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 12.7.2001 eine große Witwenrente vom 22.8.2000 bis zum 31.10.2000. Die Auszahlung der Witwenrente für die Zeit ab dem 1.11.2000 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.7.2001 ab mit der Begründung, der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit lägen 25 Entgeltpunkte nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu Grunde, was einer Auszahlung gemäß § 22 b Abs. 1 FRG entgegenstehe.

Am 14.12.2001 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.8.2001 die Neufestsetzung der Hinterbliebenenrente.

Durch Bescheid vom 24.7.2002 lehnte es die Beklagte ab, den Bescheid vom 17.7.2001 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) zurückzunehmen. Der Entscheidung des BSG werde nicht gefolgt. Sie werde weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Sinn und Zweck der durch Artikel 3 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996 neu eingefügten und am 7.5.1996 in Kraft getretenen Regelung des § 22 b FRG gerecht.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30.9.2002 zurück.

Die am 30.10.2002 erhobene Klage hat das Sozialgericht Speyer durch Urteil vom 10.5.2004 abgewiesen.

Gegen das am 5.7.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.7.2004 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor,

angesichts der Entscheidungen mehrerer Senate des BSG sei es nicht nachvollziehbar, wenn das Sozialgericht der Auffassung der Beklagten folge. Eine rückwirkende Inkraftsetzung des geänderten § 22 b Abs. 1 FRG sei nicht rechtmäßig, weil die Regelung nicht der Klarstellung diene, sondern eine neue Regelung schaffe. Die am 21.7.2004 beschlossenen Regelungen des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes stellten einen unzulässigen Eingriff in die Lebensplanung der Bürger dar. Eine neue gesetzliche Regelung könne allenfalls für die Zukunft geschaffen werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10.5.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.7.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2002 zu verurteilen, die Bescheide vom 12.7.2001 und 17.7.2001 teilweise zurückzunehmen und Witwenrente ohne die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte nach § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte verwiesen; deren Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat einen Anspruch auf Zahlung einer großen Witwenrente ohne die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte. Das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10.5.2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24.7.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.9.2002 sind daher aufzuheben. Die Beklagte ist zu verurteilen, die Bescheide vom 12.7.2001 und 17.7.2001 teilweise zurückzunehmen und der Klägerin, bei der die Voraussetzungen für die Gewährung einer großen Witwenrente vorliegen, eine solche ohne die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte nach § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG aF zu gewähren. Hierzu im Einzelnen:

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im...

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