Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzungsantrag im Rahmen einer Untätigkeitsklage. Rückforderung überzahlter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Anrechnung eines Existenzgründungszuschusses als Einkommen
Orientierungssatz
1.Die Regelung des § 88 Abs. 1 S. 2 SGG ist bei Untätigkeitsklagen lex specialis gegenüber der Aussetzungsmöglichkeit nach § 114 SGG für sozialgerichtliche Streitigkeiten im Allgemeinen.
2.Die Rechtshängigkeit eines Verfahrens beim BSG, bei dem es ebenfalls um die Anrechenbarkeit des Existenzgründungszuschusses als Einkommen im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II geht, ist kein zureichender Grund, über einen Widerspruch im Rahmen einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG nicht zu entscheiden.
3.Dem prozessualen Recht des Rechtsuchenden an einer zeitnahen behördlichen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung der Vorrang zu geben gegenüber dem Interesse der Verwaltung, von einer Arbeitsbelastung verschont zu bleiben, die (gegebenenfalls) dadurch entstehen kann, dass nach Ergehen der obergerichtlichen Entscheidung eigene Entscheidungen zu korrigieren sind.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beklagte wendet sich gegen die Ablehnung ihres Aussetzungsantrags im erstinstanzlichen Klageverfahren durch das Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG).
Der Kläger hatte von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezogen. Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 27. Juli 2006 forderte die Beklagte den Kläger auf, überzahlte Leistungen in Höhe von 3.240,- EUR zurückzuzahlen. Dagegen legte der Kläger am 31. Juli 2006 Widerspruch ein. Am 2. November 2006 erhob der Kläger beim SG Untätigkeitsklage und führte aus, die Beklagte habe nach mehr als drei Monaten seinen Widerspruch nicht beschieden, obwohl dafür kein zureichender Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliege.
Dazu erklärte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Januar 2007 zunächst, sie habe bislang noch nicht entschieden, weil erforderliche Erklärungen und Nachweise vom Kläger noch fehlten. Mit Schreiben vom 6. Juni 2007 wies das SG darauf hin, dass rechtlich tragfähige Gründe für die unterbliebene Bescheidung nicht vorliegen dürften, und empfahl die Abgabe eines Anerkenntnisses. Im Schriftsatz vom 7. August 2007 führte die Beklagte aus, die Abgabe eines Anerkenntnisses komme nicht in Betracht, und beantragte ausdrücklich die Aussetzung des Verfahrens analog § 114 Abs. 1 SGG. Denn es sei beim Bundessozialgericht (BSG) ein Revisionsverfahren zu der Rechtsfrage anhängig, ob der Existenzgründungszuschuss als Einkommen anrechenbar sei. Diese Frage sei noch nicht höchstrichterlich geklärt. Im anhängigen Widerspruchsverfahren komme es auf die Entscheidung dieser Rechtsfrage an.
Dazu hat der Kläger angemerkt, verwaltungsorganisatorische Erwägungen der Beklagten seien unbeachtlich. Es handele sich um eine Untätigkeitsklage.
Mit Beschluss vom 24. September 2007 hat das SG den Aussetzungsantrag der Beklagten abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 114 SGG lägen nicht vor. Zudem gehe die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG der Aussetzungsmöglichkeit nach § 114 Abs. 2 S. 2 SGG vor und sei mit dieser nicht zu vereinbaren.
Dagegen hat die Beklagte am 24. Oktober 2007 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, Untätigkeitsklage und Aussetzung nach § 114 SGG seien vereinbar. Es sei § 114 Abs. 2 SGG analog anwendbar. Die Aussetzung sei erforderlich wegen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Sozialgerichte. In anderen Streitverfahren beim SG seien Klageverfahren wegen anhängiger Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht ausgesetzt worden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24. September 2007 zu Ziffer 1. aufzuheben und das Klageverfahren analog § 114 Abs. 1 SGG bis zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts in dem Revisionsverfahren B 7b 16/06 R auszusetzen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Gerichtsakte des SG ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 172 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung zulässig. Der angegriffene Beschluss, mit dem die von der Beklagten begehrte Aussetzung des Verfahrens abgelehnt wurde, ist eine beschwerdefähige Entscheidung, denn er stellt weder ein Urteil noch einen Gerichtsbescheid dar. Die Beschwerde ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch sonst zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Dessau-Roßlau hat zu Recht die Aussetzung der Untätigkeitsklage abgelehnt.
Nach § 88 Abs. 1 S. 1, 2 i.V.m. Abs. 2 SGG ist eine Klage zulässig, wenn über ein Widerspruch innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht entschieden worden ist. Liegt ein zu...