Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Beendigung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach 7 Monaten. Inhaftierung nach Diebstahl. keine Fortwirkung der Erwerbstätigeneigenschaft. kein Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen. verfassungskonforme Auslegung. Freizügigkeitsberechtigung. Schulbesuch
Leitsatz (amtlich)
1. Eine strafbare Tätigkeit unterfällt nicht dem Schutz der unionsbürgerrechtlichen Freizügigkeitsberechtigung. Sie kann daher auch Familienangehörigen des Unionsbürgers nicht als Ableitungstatbestand iS von § 3 Abs 1 S 1 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) dienen.
2. § 3 Abs 4 FreizügG/EU ist nicht erweiternd auf die Fälle der Haft (vormals) freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger anzuwenden; erfasst ist die (nicht zu vertretende) objektive Unmöglichkeit der Ausübung der unionsbürgerrechtlichen Freizügigkeitsberechtigung durch den Elternteil.
3. Die Regelvoraussetzung des § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG ( juris: AufenthG 2004) - Sicherung des Lebensunterhalts - führt grundsätzlich dazu, dass das AufenthG keine günstigere Rechtsstellung vermitteln kann als § 2 Abs 2 Nr 5 und Nr 6 iVm § 4 FreizügG/EU. Ausnahmen können auf grundrechtlichen Erwägungen beruhen.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nrn. 2, 6, Abs. 3; FreizügG/EU § 3 Abs. 1; FreizügG/EU § 3 Abs. 4, § 11 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 4; VO (EU) Nr. 492/2011 Art. 10; GG Art. 6 Abs. 1; SGB X § 105; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Die Beschwerde wird in der Hauptsache zurückgewiesen.
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle wird hinsichtlich des Kostentenors abgeändert.
Die Verpflichtung des Antragsgegners zu Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller wird aufgehoben.
Die Beigeladene hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Halle, das ihn verpflichtet hat, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 30. November 2015 bis zum 31. März 2016 zu gewähren. In der Sache streiten die Beteiligten darüber, ob die Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sind.
Die am ... 1967 geborene Antragstellerin ist die Mutter des am ... 1998 geborenen Antragstellers. Beide sind rumänische Staatsbürger. Ehemann der Antragstellerin und Vater des Antragstellers ist der 1967 geborene T. U. Während sich aus den Verwaltungsakten ein Umzug von T. U.im Mai 2013 aus M. ergibt, haben die Antragstellerin Anfang Juni 2013 sowie der Antragsteller und ein 1993 geborener weiterer gemeinsamer Sohn der Eheleute U. Ende August 2013 erstmals unter der Anschrift ...-Straße in H. die Anmeldung eines Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Im Oktober 2013 zogen auch die damals 15-jährige Freundin des 1993 geborenen Sohnes und deren im August 2013 geborenes gemeinsames Kind in die etwa 60 qm große Wohnung.
Für die Wohnung sind ab Januar 2015 monatlich 260,00 EUR Grundmiete sowie Vorauszahlungen auf Betriebskosten in Höhe von 166,00 EUR und Heizkosten in Höhe von 65,00 EUR zu zahlen. Zur Nutzung der Versorgung mit Kabelfernsehen (monatliche Kosten von 19,11 EUR) sind die Antragsteller mietvertraglich nicht verpflichtet.
Der Antragsteller begann unter dem 15. November 2013 mit dem Schulbesuch. Voraussichtliches Ende des Schulbesuchs sollte zunächst der 31. Juli 2015 sein. Nach einer aktuellen Schulbescheinigung besucht der Antragsteller mindestens bis zum 31. Januar 2016 die Sprachförderklasse einer Sekundarschule und unterliegt danach weiterhin der Schulpflicht.
Für den Antragsteller ist bis November 2016 Kindergeld bewilligt.
T. U. befand sich in der Zeit vom 23. Mai 2014 bis zum 18. Juni 2015 in Untersuchungshaft. Der Untersuchungshaft lag ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Bandendiebstahls zu Taten aus April und Mai 2014 zugrunde. Mitangeklagter im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren war auch der 1993 geborene Sohn. Weitere Einzelheiten zu diesem Strafverfahren haben die Antragsteller nicht mitgeteilt.
Am 18. September 2013 beantragten die Antragsteller sowie T. U. erstmals die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II durch den Antragsgegner. T. U. gab an, seit dem 18. September 2012 mit dem An- und Verkauf von Altmetallen selbständig tätig zu sein. Die Betriebsstätte sei in M. Von September 2013 bis Februar 2014 wolle er Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 3.900,00 EUR erzielen. Nach Abzug von laufenden Betriebskosten und Beratungskosten sollte sich in diesem Zeitraum ein Gewinn in Höhe von 2.550,00 EUR ergeben. Dem Antrag beigefügt waren betriebswirtschaftliche Berichte der R. Datenverarbeitung GmbH für Juli bis September 2013. Aus diesen sin...