Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. Pflegequalität. Streit über die Ergebnisse der Qualitätsprüfung. Transparenzbericht. Realakt. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung. Voraussetzungen. Verfassungsmäßigkeit von § 115 Abs 1a SGB 11. Rechtmäßigkeit der Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS)
Leitsatz (amtlich)
1. Der vorläufige Rechtschutz gegen die Veröffentlichung eines Transparenzberichtes richtet sich nach § 86b Abs 2 S 1 SGG, da weder in der Ankündigung der Veröffentlichung noch in der Veröffentlichung selbst ein Verwaltungsakt liegt.
2. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 115 Abs 1a SGB 11 und die Rechtmäßigkeit der Pflegetransparenzvereinbarung Stationär (PTVS). Die Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf die Vereinbarungsparteien der PTVS erscheint im Hinblick auf ihre besondere Sachkenntnis und die umfassende Beteiligung der maßgeblichen Organisationen und Interessenvertreter sachgerecht. Maßstäbe für die Qualität der Pflege sind auch außerhalb wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse seit langem vorhanden (vgl § 80 SGB 11 idF vom 9.9.2001).
3. Art 12 Abs 1 GG schützt nicht vor der Verbreitung inhaltlich zutreffender und mit der gebotenen Sachlichkeit und Zurückhaltung formulierter Informationen durch einen Träger von Staatsgewalt (BVerfG vom 26.6.2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 = BVerfGE 105, 252 = NJW 2002, 2621).
4. Die bei der Veröffentlichung von Transparenzberichten bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten genügen den Anforderungen nach Art 19 Abs 4 GG.
5. Einstweiliger Rechtschutz kann die Veröffentlichung eines Transparenzberichtes nur aufhalten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Wertungen des Transparenzberichtes den Boden der Neutralität, der Objektivität oder der Sachkunde verlassen haben, insbesondere wenn offensichtliche oder bewusste Fehlurteile, bewusste Verzerrungen, die Behauptung unwahrer Tatsachen, willkürliches Vorgehen oder Schmähkritik glaubhaft gemacht sind.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegner wird der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 4. Januar 2010 aufgehoben und die Anträge der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsgegner wenden sich gegen die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, mit der ihnen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Veröffentlichung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 7./8. September 2009 über die Einrichtung der vollstationären Dauerpflege der Antragstellerin und deren Freigabe an Dritte zum Zwecke der Veröffentlichung untersagt wird, und mit der die Antragstellerin für diesen Zeitraum von der Verpflichtung enthoben wird, die Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Qualitätsprüfung in der Pflegeeinrichtung auszuhängen.
Die Antragstellerin betreibt das nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) durch Versorgungsvertrag zugelassene Alten- und Pflegeheim "P", in dem die Antragsgegner am 7. und 8. September 2009 durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) eine Qualitätsprüfung nach den §§ 114 ff. SGB XI durchführten. Zu dieser Zeit waren 102 der insgesamt 110 vollstationären Pflegeplätze belegt.
Im Prüfbericht vom 15. September 2009 ist angegeben, es handele sich um eine Anlassprüfung auf Grund einer Beschwerde. Der Allgemein-, Ernährungs- und Pflegezustand von zehn nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bewohnern sei beurteilt, die entsprechenden Pflegedokumentationen seien ausgewertet und die Betroffenen seien nach Möglichkeit hinsichtlich ihrer Zufriedenheit befragt worden. Zur Auswertung von Beschwerden seien zwei weitere Pflegebedürftige zusätzlich in die Prüfung einbezogen worden. Anlass einer anonymen Beschwerde sei ein Hinweis auf die Entstehung von zwei Dekubitalucerationen in der Einrichtung, Anlass der weiteren Beschwerde sei ein Hinweis auf einen unsachgemäßen Transfer mit Sturzfolge gewesen. Die in beiden Beschwerdeschreiben aufgeführten Defizite hätten im Rahmen der Prüfung nicht entkräftet werden können. Die eingesehenen Pflegedokumentationen hätten die Individualität der Pflegebedürftigen mit deren Risiken, Ressourcen und Maßnahmen nicht in vollem Umfang widergespiegelt. Auffälligkeiten seien in der konsequenten Planung, Durchführung und Dokumentation von Prophylaxen ersichtlich gewesen. Die in der Einrichtung vorgehaltenen Standards seien nicht in jedem Fall zur Anwendung gekommen und anhand der Auswertungen von Pflegedokumentationen nicht vollständig erkennbar gewesen. Im Bereich der Behandlungspflege seien in einem Fall Auffälligkeiten bezüglich ärztlicher Verordnungen festgestellt worden und den Medikamentenplänen sei nicht in jedem Fall die Applikationsform zu entnehmen gewesen. Für die sozia...