Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit -Folgen fehlender und später nachgeholter Mitwirkung beim Entziehungsbescheid nach § 66 SGB 1

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Versagungsbescheid nach § 66 SGB 1 berührt eine später nachgeholte Mitwirkung die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids nicht (vgl BVerwG vom 17.1.1985 - 5 C 133/81 = BVerwGE 71, 8 und BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 78/08 R = BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5). Die nachgeholte Mitwirkung ist für die zukünftige Leistungsgewährung und im Rahmen von § 67 SGB 1 von Belang.

2. Ein auf § 66 SGB 1 gestützter Entziehungsbescheid, mit dem bewilligte (Dauer-) Leistungen bzw festgestellte Einzelansprüche ganz oder teilweise vernichtet werden, wird rechtswidrig, sobald die geforderte Mitwirkungshandlung nachgeholt wird, und ist gem § 48 Abs 1 SGB 10 aufzuheben (vgl BSG vom 22.2.1995 - 4 RA 44/94 = BSGE 76, 16 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3).

3. Hält der Leistungsträger trotz Erbringen der Mitwirkungshandlung in der Folge an dem Entziehungsbescheid fest, ist dies rechtswidrig und im einstweiligen Rechtsschutz durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und ggf einen Ausspruch zur Folgenbeseitigung gemäß § 86b Abs 1 S 2 SGG zu korrigieren.

 

Orientierungssatz

Werden auf der Grundlage von § 66 SGB 1 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wegen Nichtvorlage von Nachweisen zum Einkommen sowie Vermögen bzw zur Vermögensverpfändung und insofern fehlender Mitwirkung entzogen, so ist der Entziehungsbescheid gem § 39 Nr 1 SGB 2 von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. September 2010 abgeändert und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 5. bis zum 31. Oktober 2010 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 611,28 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen von der Antragsgegnerin erlassenen Entziehungsbescheid im Rahmen der Leistungsgewährung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der im Jahr 1957 geborene ledige Antragsteller bezog seit seiner Entlassung aus der Strafhaft im Oktober 2009 Leistungen nach dem SGB II. Bei der Erstantragstellung gab er in der Anlage VM zur Feststellung der Vermögensverhältnisse, er besitze ein Girokonto bei der S. Bank M. mit einem Guthaben iHv 109,56 EUR und 80,00 EUR Bargeld (2.1 und 2.2). Zu allen weiteren Angaben merkte er an, seine Wohnung sei im April 2009 zwangsgeräumt und das Inventar ausgelagert worden. Er müsse 60 Umzugkartons sichten, um seine Unterlagen aufzufinden. Er gab an, zwei Freistellungsaufträge erteilt zu haben, versah diese Angabe jedoch mit einem Fragezeichen. Zu Punkt 2.3. Sparbücher/Sparkonten (z.B. Tagesgeldkonto) erklärte er: Gesamtbetrag in EUR Inhaber, Geldinstitut, Konto-Nr. Zinsen im letzten Jahr 1. 745 ? Antragsteller Hinweis Nr 1 ? 2. evtl. 1.000,- Antragsteller Hinweis Nr 1 ? 3. Ca. 500,00 Antragsteller VR B. Gepfändet ?

Zu 2.4. Sparbriefe/sonstige Wertpapiere (z.B. Aktien, Fonds-Anteile usw.) erklärte er: Art der Geldanlage: Festgeld seit 2001 verpfändet Inhaber der Geldanlage: nicht verfügbar. Hinweis auf Nr. 1 derzeitiger Wert: 10.000,00 EUR Weiter gab er an, Nachweise würden nach Sichtung der Umzugskartons nachgereicht, soweit sie vorlägen. Bei 2.5 Kapitallebensversicherungen/private Rentenversicherungen kreuzte er das Feld "ja" an und erklärte in der Rubrik Versicherungsnehmer, Versicherungsunternehmen und Versicherungsnummer: "Hinweis Nr. 1, nicht verfügbar, seit Jahren wegen Selbständigkeit verpfändet - Forderungsabsicherung". Weiter merkte er an, er habe derzeit keine Übersicht, die Angaben stammten aus der Erinnerung. Unter 2.6 Bausparverträge kreuzte er "nein" an, versah diese Rubrik mit dem Vermerk "gleicher Hinweis wie bei Punkt 4". Das Vorhandensein weiterer Vermögenswerte verneinte er.

Erstmals mit Schreiben vom 19. November 2009 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, Nachweise über sein gesamtes Sparguthaben und die Versicherungen vorzulegen.

Unter dem 5. Januar 2010 führte der Antragsteller aus, er habe noch nicht alle Unterlagen aufgefunden. Er überreichte jedoch zwei Ablichtungen von Sparbüchern sowie eine Bescheinigung der Ho. GmbH, aus der ersichtlich sei, dass die Altersvorsorge rechtsverbindlich verpfändet und einer Verwertung nicht zugänglich sei. Beigefügt war die Kopie eines Sparbuchs der Postbank H., das als letzte Eintragung am 16. Oktober 2007 ein Guthaben iHv 745,30 EUR aufwies. Ein weiteres Sparbuch der Postbank H. wies zuletzt am 24. August 2007 ein Guthaben iHv 1.013,45 EUR auf. Die unter der Angabe "Bln. den 28.12.2009" gefertigte "Bescheinigung" weist folgenden Wort...

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