Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Besuch einer Tagesstätte für Suchtkranke. kein Leistungsausschluss für behinderte Leistungsbezieher nach dem SGB 2. Zuständigkeitsklärung

 

Orientierungssatz

1. Suchtkranke Bezieher von Leistungen nach dem SGB 2 können für den Besuch einer Tagesstätte für seelisch Behinderte einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gem §§ 53ff SGB 12 haben.

2. Die Zuständigkeitsklärung nach § 14 SGB 9 ist lex specialis zu § 43 SGB 1.

 

Tatbestand

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung zur Weiterbewilligung von Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) an den Antragsteller.

Der 1962 geborene ledige Antragsteller bezieht von der ARGE SGB II W. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60 % ohne Merkzeichen und leidet seit Mitte der 90er Jahre an einer chronischen Alkoholabhängigkeit. Er hat bereits mehrere Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlungen absolviert. An eine Alkoholentwöhnungsbehandlung (AEB) in der Fachklinik am K. K. bis Anfang des Jahres 2002 schloss sich eine etwa einjährige Abstinenzphase an. Nach Rückfällen erfolgte im Zeitraum von Januar 2005 bis April 2005 eine stationäre Entgiftung mit erweitertem Aufenthalt im Fachkrankenhaus für Psychiatrie N. , Außenstelle L. .

Einen im Juli 2004 gestellten Rentenantrag wegen voller Erwerbsminderung lehnte die Deutsche Rentenversicherung im März 2005 ab, weil der Antragsteller nach ärztlicher Feststellung noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne. Einen ebenfalls im Juli 2004 gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte die Deutsche Rentenversicherung zunächst wegen unzureichender Mitwirkung des Antragstellers ab. Einem erneuten Antrag wurde mit der stationären AEB ab September 2005 entsprochen.

Mit Schreiben vom 4. Mai 2005 stellte der Antragsteller einen ersten Antrag auf Aufnahme in die Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge von Sucht “G. R. - Hilfenetzwerk gGmbH" beim Landkreis W. . Zur Begründung erklärte der Antragsteller, er werde einmal monatlich durch die Sucht- und Drogenberatung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) betreut und nehme derzeit - seit der letzten Entgiftung im Februar 2005 - keine Suchtmittel. Er müsse dringend regelmäßig die Tagesstätte besuchen, um einem Rückfall vorzubeugen. Das monatliche Gespräch mit der Suchtberaterin reiche nicht aus.

In einem Schreiben vom 30. Mai 2005 führte die Suchtberaterin des DRK aus, der Wiedereinstieg in die Suchtproblematik in der Vergangenheit sei weitgehend auf die soziale Isolation des Antragstellers zurückzuführen. Außer Kontakten zu seiner Mutter bestünden kaum Bindungen, eine Teilnahme am Arbeitsleben sei derzeit nicht denkbar. Die Betreuung in der Tagesstätte sei zur Festigung einer abstinenten Lebensweise erforderlich, denn so könne der Antragsteller über tagesstrukturierende Maßnahmen mit professioneller Begleitung zu einer sozial akzeptierten Lebensweise finden.

Nach Begutachtung des Antragstellers am 28. Juni 2005 führte der Amtsarzt Dr. F. in einer Stellungnahme vom 29. Juni 2005 aus, es liege eine wesentliche seelische dauerhafte Behinderung im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII vor. Der Antragsteller sei z.Zt. nicht “trocken". Die Aufnahme in die Tagesstätte könne durch die Engmaschigkeit der Betreuung zu einer weiteren positiven Lebenseinstellung des Antragstellers führen, wobei das Erreichen von Alkoholabstinenz das primäre Ziel sein müsse. Dem Besuch der Tagesstätte solle jedoch eine erneute Anschlussheilbehandlung vorausgehen. Soweit eine AEB weiterhin abgelehnt würde, sei die sofortige Eingliederung in die Tagesstätte zumindest vorübergehend indiziert.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. August 2005 lehnte der Landkreis W. im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe den Antrag auf Gewährung von teilstationärer Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Menschen infolge Sucht in der Tagesstätte “G. R. " ab und führte zur Begründung u.a. aus, dass diese Hilfeform nur für “trockene" Alkoholiker in Betracht komme.

In der Zeit vom 20. September 2005 bis zum 19. Dezember 2005 unterzog sich der Antragsteller erneut einer AEB in der Fachklinik Am K. in K. . Der ärztliche Entlassungsbericht nennt folgende Diagnosen:

1. Alkoholabhängigkeit

2. Alkoholtoxische Hepatopathie

3. Zustand nach cerebralen Krampfanfällen im Entzug

4. Alkoholtoxische und diabetische Polyneuropathie

5. Diabetes mellitus - Typ II b

6. Arterieller Hypertonus

7. Lumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom

8. Nikotinabhängigkeit

Der Antragsteller werde regulär arbeitsfähig entlassen; ihm seien leichte Arbeiten überwiegend im Gehen und im Sitzen sowie zeitweise im Stehen in Tagesschicht im Umfang von sechs Stunden und ...

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