Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beiladung der Krankenkasse. Schulbegleitung für ein an Diabetes mellitus Typ 1 erkranktes Kind. Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Behandlungspflege. fehlende Verordnung. Sozialhilfe. Hilfen zur Gesundheit. Hilfe bei Krankheit. entsprechend den Leistungen der GKV. Eingliederungshilfe. Vorliegen einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung
Orientierungssatz
1. Unabdingbar für die Bewilligung von Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 SGB 5 ist die ärztliche Verordnung im Sinne der nach § 92 Abs 1 Nr 6 SGB 5 beschlossenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege.
2. Für einen gut eingestellten oder gut einstellbaren Diabetes mellitus Typ 1 lässt sich das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im Sinne des § 53 Abs 1 S 1 SGB 12 nicht grundsätzlich bejahen.
3. Bei der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ 1 handelt es sich nicht um eine regelmäßig progrediente Erkrankung, die eine Verschlechterung von Beeinträchtigungen als wahrscheinlich erwarten lässt, so dass eine drohende wesentliche Behinderung in der Regel auszuschließen ist.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. September 2016 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht wird zurückgewiesen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung der Partnerschaftsgesellschaft ... Rechtsanwälte, W., bewilligt.
Gründe
I.
Der als Antragsgegner in Anspruch genommene Sozialhilfeträger (im Folgenden: Ag.) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Verpflichtung des Sozialgerichts, dem Antragsteller (im Folgenden: Ast.) ein Persönliches Budget für einen Integrationshelfer/Schulassistenten zu bewilligen.
Der am ... 2009 geborene Ast. leidet seit dem Sommer 2015 an Diabetes Typ 1. Bei ihm ist seit dem 30. November 2015 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt. Im Frühjahr 2016 erfolgte die Versorgung mit einer Insulinpumpe. Er besucht seit dem Jahr 2016 die ... Grundschule in W. und ist nach dem Internetauftritt der Schule einer der beiden Klassensprecher der Klasse 2a. Der Ast. ist seit dem 1. August 2016 bei der Krankenkasse ... familienversichert. Gründe für den Wechsel der Versicherung durch die Stammversicherte sind nicht mitgeteilt worden. Ein Pflegedienst führte während des Verwaltungsverfahrens auf Grund einer Erstverordnung von häuslicher Krankenpflege der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie Dr. G. vom 12. Juli 2016 in Form von acht Blutzuckermessungen und sieben bis acht Injektionen an fünf Tagen in der Woche vom 11. August bis zum 9. September 2016 in Kostenträgerschaft der ... dreimal täglich (an Tagen mit Schulsport viermal täglich) in der Schule Blutzuckerkontrollen mit Prüfung der Insulinmenge bei dem Ast. durch. Zu der im Verfahren wiederholt angesprochenen Diskrepanz zwischen dem verordneten und dem von dem Pflegedienst durchgeführten Umfang der Blutzuckermessungen ist von dem Ast. eine Stellungnahme nicht erfolgt. Dieser hat im Verfahren vor dem Sozialgericht vorgetragen, einen weiteren Antrag bei der Krankenkasse auf Leistungen vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens nicht mehr gestellt zu haben.
Der Ast. lebt nach Aktenlage bei seiner Großmutter, die zu Hause die Versorgung der Erkrankung des Ast. sicherstellt. Er hat regelmäßigen Kontakt mit seiner sorgeberechtigten Mutter, die seit dem 15. Januar 2016 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Verkäuferin mit einer monatlichen Arbeitszeit von 120 Stunden arbeitet und ein weiteres Kind, eine im März 2014 geborene Tochter, versorgt.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt führte am 2. Oktober 2015 die Erstbegutachtung des Ast. zur Frage einer Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung - SGB XI) durch. Im Ergebnis wird in dem Gutachten ein Pflegebedarf unterhalb der Pflegestufe I festgestellt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sei die Alltagskompetenz des Ast. nicht erheblich eingeschränkt gewesen. Der Ast. benötige eine Hilfestellung bei der Insulingabe nach Blutzuckerwert und Plan durch eine Pflegeperson. Heilmittel seien dem Ast. in Form von Stimm-/Sprech-/Sprachtherapie und Ergotherapie verordnet worden. Der Ast. sei mit einem Blutzuckermessgerät und einem Insulinpen versorgt. Ihm werde häusliche Krankenpflege auf der Grundlage von § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) durch die Insulingabe in der Schule (damals zweimal täglich, um 12.00 und 14.00 Uhr, fünfmal wöchentlich) gewährt. Die Großmutter des Ast., die Frührentnerin sei und...