Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des geistig behinderten Schülers auf Kostenübernahme für einen Integrationshelfer zum Schulbesuch
Orientierungssatz
1. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i. S. des § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 12 umfasst nach § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich oder geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.
2. Ist eine Behinderung i. S. des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB 9 bisher nicht anerkannt, so ist dies vom Sozialgericht zu prüfen und zu entscheiden.
3. Für die Frage, ob ein Schüler geistig wesentlich behindert i. S. des § 2 EinglHV ist, kommt es darauf an, ob die mit einer Behinderung einhergehenden Beeinträchtigungen der erfolgreichen Teilnahme am Unterricht in einer Schule entgegenstehen, weil Lerninhalte ohne zusätzliche Hilfestellung nicht aufgenommen werden können.
4. Wird die Kostenübernahme für einen Integrationshelfer im Umfang von mehreren Stunden je Unterrichtstag geltend gemacht, lässt sich aber die Notwendigkeit der Betreuung durch eine dauernd im Unterricht anwesende weitere Person zur Umsetzung der Eingliederungsziele i. S. der §§ 54, 75 SGB 12 und 12 EinglHV nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, so ist eine Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger abzulehnen.
5. Die Vermittlung von Lerninhalten im Rahmen der Aufgabenbearbeitung gehört zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit. Hilfestellungen in der Aufgabenbearbeitung sind nicht durch die Eingliederungshilfe abzudecken. Die Regelungen des Schulrechts über Nachteilsausgleiche und vergleichbare Maßnahmen sind insoweit dem Sozialhilferecht vorgelagert.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. November 2017 geändert und der Antrag der Antragstellerin auch im Übrigen abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der die Beschwerde führende überörtliche Sozialhilfeträger (im Folgenden: Ag.) wendet sich gegen die Verpflichtung durch das Sozialgericht, für die Antragstellerin vorläufig, längstens bis zum 27. Juni 2018, Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) in Form der Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer im Umfang von sieben Stunden je Unterrichtstag zu erbringen.
Die am ... 2005 geborene Antragstellerin (im Folgenden: Ast.) besuchte zunächst ab April 2006 eine Kindertagesstätte und dann einen Regelkindergarten und wurde mit dem Schuljahr 2012/2013 nach Zurückstellung um ein Jahr eingeschult. Das Landesschulamt des Landes Sachsen-Anhalt stellte für die Ast. für die Zeit ihres Besuches der Grundschule - ohne Schulassistenz - einen sonderpädagogischen Förderbedarf zunächst mit dem Schwerpunkt "körperliche und motorische Entwicklung" und schließlich mit dem Förderschwerpunkt "Lernen" fest. Die Ast. erhält seit Oktober 2011 Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets für heilpädagogische Maßnahmen.
Am 10. August 2017 erfolgte die Aufnahme der Ast. in die Evangelische Gesamtschule "P. M.", eine staatlich anerkannte Ersatzschule in W. mit einem integrativen Ansatz (im Folgenden: "integrierte Gesamtschule").
Ein Grad der Behinderung (GdB) ist bei der Ast. nicht festgestellt worden; nach ihren Angaben, um eine Stigmatisierung zu vermeiden.
Bei der Ast. wurden im Rahmen der Untersuchung im Kinderzentrum des Krankenhauses St. E. und St. B. am 4. Juli 2008 nach dem Arztbericht vom 15. Juli 2008 die Diagnosen einer motorischen Entwicklungsverzögerung, einer nicht näher bezeichneten Entwicklungsstörung des Sprechens oder der Sprache und der Verdacht auf eine kombinierte Entwicklungsverzögerung gestellt. Eine besondere Stärke sei ihr ausdauerndes und konzentriertes Mitarbeitsverhalten in Anforderungssituationen. Im Vergleich zu der Voruntersuchung hätten sich erfreuliche Entwicklungsfortschritte gezeigt. In dem Arztbrief dieser Einrichtung vom 20. Januar 2010 wird als Diagnose noch die "kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung mit Schwerpunkt in der motorischen und sprachlichen Entwicklung" genannt und die Weiterführung der Frühförderung empfohlen.
In der amtsärztlichen Stellungnahme der Schulärztin V. vom 4. November 2008 wird der Ast. nach einer ambulanten Untersuchung eine stark verzögerte Sprachentwicklung attestiert. Ohne intensive Förderung und Therapie drohe eine wesentliche körperliche Behinderung. Erforderlich seien weiter ambulante Logopädie und Frühförderung mit zusätzlich einer Fördereinheit wöchentlich. Die Physiotherapie solle fortgesetzt werden. Der Facharzt für Kinderheilkunde Dipl.-Med. L. bestätigte in der amtsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 28. Oktober 2010 eine ohne ausreichende Förderung drohende wesentliche körperliche Behinderung der Ast. Ergänzend zu Ergotherapie, Kra...