Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollstreckung. Gerichtskostenentscheidung. Missbrauchskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Der auf Aussetzung der Vollstreckung eines Urteils eines Sozialgerichts gerichtete einstweilige Rechtsschutz nach § 199 Abs 2 S 1 SGG umfasst auch dessen Gerichtskostenentscheidung.
2. Die Verhängung von Missbrauchskosten nach § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ist daraufhin voll überprüfbar, ob die "Missbräuchlichkeit" iS dieser Vorschrift objektiv vorgelegen hat.
3. Missbräuchlichkeit iS von § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG wird nicht allein durch mangelnde Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung begründet. Eine Aussichtslosigkeit von einem möglicherweise ausreichenden Ausmaß lässt sich auch nicht allein mit Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründen. Maßgeblich für die Beurteilung ist zumindest die Sicht des mit seinem Einzelfall und möglicherweise erstmalig betroffenen Beteiligten.
Tenor
Die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Stendal vom B. Januar 2003 - S 6 RA 108/02 - wird bis zur Kostenentscheidung des Landessozialgerichts ausgesetzt.
Tatbestand
Der Antragsteller betrieb in der Hauptsache eine Klage gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in ihrem Aufgabenbereich als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der DDR.
In der mündlichen Verhandlung vom 8. Januar 2003 wies der Vorsitzende den Antragsteller auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin und erläuterte ihm, die Aufrechterhaltung der Klage könne mutwillig sein.
Mit Urteil vom gleichen Tage hat die Kammer die Klage abgewiesen und dem Antragsteller die Zahlung von 150 Euro an die Staatskasse auferlegt. In der Urteilsbegründung hat sie ausgeführt, die Auferlegung von Kosten sei gem. § 193 (gemeint: 192) SGG gerechtfertigt, da der Kläger im Termin auf die Aussichtslosigkeit seiner Klage im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen worden sei und trotzdem an der Klage festgehalten habe.
Der Antragsteller hat in der Hauptsache Berufung eingelegt (Eingang 29. Januar 2003) und mit Eingangsdatum vom 27. März 2003 Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Verhängung von Rechtsmissbräuchlichkeitskosten gestellt. Die Kostenentscheidung verletze schwerwiegend seine Grund- und Menschenrechte.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 199 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu verstehen; er ist als solcher statthaft. Die Entscheidung des Sozialgerichts über die Gerichtskosten ist eine Entscheidung nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG, gegen die eine aufschiebende Wirkung im Sinne von § 199 Abs. 2 SGG nicht vorgesehen ist. Sie hat einen im Sinne von § 199 Abs. 1, 2 S. 1 SGG vollstreckungsfähigen Inhalt, wie sich systematisch im Vergleich mit §§ 704 Abs. 1, 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO) ergibt, wonach sogar die Kostengrundentscheidung Gegenstand eines Vollstreckungstitels sein und dem besonderen vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 709 ff. ZPO unterliegen kann. Thematisch wird die Kostenentscheidung von § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG jedenfalls ungeachtet der Frage erfasst, ob Kostenentscheidungen nach dem SGG überhaupt einem Aufschub im Sinne dieser Vorschrift unterliegen können, weil anderenfalls eine Grundlage zur Vollstreckung von Gerichtskostenentscheidungen im SGG sinnwidrig völlig fehlte.
Auch § 144 Abs. 4 SGG steht der Statthaftigkeit des Antrags nicht entgegen, weil die Vorschrift nur die allein gegen die Kostenentscheidung gerichtete Berufung ausschließt, nicht aber im Rahmen einer statthaften Berufung eine angestrebte Aufhebung einer Kostenentscheidung, hier ggf. gem. § 192 Abs. 2 S. 2 SGG.
Einem Ausschluss von Aussetzungsentscheidungen zur Gerichtskostenentscheidung wäre auch kein gesetzgeberischer Sinn zu entnehmen. Denn Aussetzungsentscheidungen im Kostenpunkt sind gem. § 199 Abs. 2 S. 1 SGG notwendig mit zu treffen, wenn im Umfang des Rechtsmittels ohne aufschiebende Wirkung über die Aussetzung zu entscheiden ist. Der fehlende Eintritt des Aufschubes ist nämlich in § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG auch auf die Kostenentscheidung bezogen, weil -- wie dargelegt -- die Vorschrift (und das SGG) anderenfalls überhaupt keine Vollstreckungsvorschrift für Gerichtskosten enthielte. Eine Ungleichbehandlung der Aussetzung der Kostenentscheidung nach der Vollstreckbarkeit oder Vollstreckungsuntauglichkeit der Hauptsacheentscheidung ließe sich aber nicht aus dem Gedanken des § 144 Abs. 4 SGG ableiten. Denn beide Fälle betreffen ein in der Hauptsache statthaftes Rechtsmittel mit der Möglichkeit der Aufhebung der vorangegangenen Kostenentscheidung.
Schließlich lässt sich § 144 Abs. 4 SGG auch nicht über seinen wortlautgetreuen Anwendungsbereich hinaus dahin auslegen, eine gesonderte Befassung eines Rechtsmittelgerichts mit Kostenfragen solle allgemein ausgeschlossen werden. Denn § 199 Abs. 1, 2 S. 1 SGG ist unmittelbar eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Nebenents...