Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorrangige Leistungen. Aufforderung zur Beantragung vorzeitiger Altersrente. ausreichende Ermessensausübung. Nichtvorliegen von Unbilligkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ob der Leistungsberechtigte seinen Bedarf bei Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente aus dem Renteneinkommen voll decken könnte, ist weder bei der Prüfung der Unbilligkeit einer Antragstellung, noch im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Denn dies hängt von verschiedenen, vom SGB 2-Leistungsträger nicht prognostizierbaren Faktoren ab.

2. Der Umstand, dass die Rentenzahlung mit Abschlag erfolgt, ist weder bei der Prüfung der Unbilligkeit noch im Rahmen der Ermessensausübung gesondert zu berücksichtigen. Wenn sich weder aus dem Vorbringen des Leistungsberechtigten noch aus den sonstigen Umständen besondere Aspekte ergeben, aus denen die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente unzumutbar wäre, genügt eine Abwägung des öffentlichen mit dem privaten Interesse bei der Ermessensausübung.

 

Normenkette

SGB II § 2 Abs. 1-2, § 5 Abs. 3 S. 1, § 12a Sätze 1, 2 Nr. 1, § 13 Abs. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 3, § 65 Abs. 4; UnbilligkeitsV §§ 2-5; SGB X §§ 24, 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Aufforderung des Antragsgegners, vorzeitig Altersrente zu beantragen.

Der am ... 1952 geborene Antragsteller bezieht vom Antragsgegner seit Mai 2005 laufend Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zuletzt Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar bis November 2015 i.H.v. 755,41 EUR/Monat bewilligt (Änderungsbescheid vom 24. März 2015).

Ausweislich einer Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland vom 22. Januar 2015 könne der Antragsteller eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Rentenabschlag ab dem 1. September 2017 beziehen. Der Zahlbetrag werde - ohne Einbeziehung zukünftiger Rentenanpassungen - voraussichtlich 923,59 EUR betragen. Bei einem jährlichen Anpassungssatz von 1% ergäbe sich eine Monatsrente von etwa 950 EUR, bei 2% von etwa 980 EUR. Bei dem frühestmöglichen Rentenbeginn ab dem 1. März 2015 werde die Rente um 9% gemindert.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2015 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, einen Antrag auf Altersrente ab dem 1. März 2015 zu stellen. Diese vorrangige Sozialleistung könne den Anspruch nach dem SGB II ganz ausschließen. Der Antragsteller sei verpflichtet, einen Antrag beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen, wenn er eine geminderte Altersrente mit Abschlägen beziehen könne und das 63. Lebensjahr vollendet habe. Der Antragsgegner wies auch auf die Möglichkeit einer ersatzweisen Antragstellung hin. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragte er bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland für den Antragsteller gemäß § 5 Abs. 3 SGB II die Altersrente.

Dagegen legte der Antragsteller am 10. Februar 2015 "vorsorglich" Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen oder eine Begründung anzukündigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Antragsteller sei zur Beantragung einer geminderten Altersrente ab Vollendung des 63. Lebensjahres aufzufordern gewesen. Der Antragsgegner wird verpflichtet, wirtschaftlich und sparsam mit den Mitteln der Steuerzahler umzugehen. Jeder Leistungsberechtigte sei deshalb verpflichtet, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu verringern. In Abwägung der Interessen des Antragstellers mit dem Interesse an einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Mitteln nach dem SGB II sei diesem die Beantragung der geminderten Altersrente zumutbar. Es liege keine der in der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) genannten Ausnahmen des Absehens von der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente vor. Unerheblich sei, ob dies für ihn eine finanzielle Einbuße bedeuten würde.

Dagegen hat der Antragsteller am 19. März 2015 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und am 20. März 2015 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Die Aufforderung zur vorzeitigen Beantragung der Rente sei rechtswidrig. Der Antragsgegner habe keinerlei Ermessenserwägungen angestellt (Hinweis auf Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2013, L 28 AS 2330/13 B ER). Die Regelung von § 12 a Satz 1 SGB II und die UnbilligkeitsV seien nur aufgezählt worden, ohne auf seinen konkreten Fall genau einzugehen. Es hätte auch geprüft werden müssen, ob andere Unbilligkeitsgründe gemäß § 1 der UnbilligkeitsV im Einzelfall vorlägen. Eine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente wäre für ihn mit erheblichen Nachteilen verbunden. Er wäre weiterhin leistungsbedürftig nach dem Zwölfte...

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