Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Versagung von Prozesskostenhilfe bei bestehendem Anspruch auf kostenfreie Prozessvertretung durch Verband. Ausgabenminimierungspflicht gegenüber Justizfiskus. Prozesskostenhilfe als besondere Art der Sozialhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muss seine satzungsmäßigen Rechte auf kostenfreie Prozessvertretung ausschöpfen, bevor es PKH in Anspruch nehmen kann.

 

Orientierungssatz

Ein Antragsteller ist verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten, da Prozesskostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet des gerichtlichen Rechtsschutzes ist (vgl LSG Essen vom 2.3.2012 - L 19 AS 163/12 B ER).

 

Normenkette

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2; SGG § 73a Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Der am 5. September 2013 gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren (Einlegung der Berufung am 5. September 2013) ist nicht begründet, da die gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) notwendige Prozessarmut fehlt.

Die Klägerin ist jedenfalls seit Juli 2013 (vgl. Kontobuchung vom 2. Juli 2013) Mitglied im Sozialverband Deutschland (SoVD) und hat über diese Mitgliedschaft einen Anspruch auf Rechtsschutz. Sie hätte bei diesem Verband Rechtsschutz begehren können, der als Bestandteil des Vermögens des um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten zu werten ist. Rechtsschutz durch eine Gewerkschaft oder einen Verband ist grundsätzlich wie eine Rechtsschutzversicherung zu behandeln. Wer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz im Sozialgerichtsverfahren hat, benötigt keine Prozesskostenhilfe.

Die Klägerin ist verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten, da Prozesskostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet gerichtlichen Rechtsschutzes ist (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. März 2012, L 9 AS 163/12 B ER, juris, Rn. 31). Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muss deshalb zunächst seine satzungsmäßigen Rechte auf Prozessvertretung ausschöpfen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. Dezember 2015, L 1 R 136/15). Genießt der Antragsteller Rechtsschutz als Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied und wird ihm dieser durch die Gewerkschaft oder den Verband ohne sachliche Begründung verweigert, muss der Antragsteller vor Inanspruchnahme der Allgemeinheit versuchen, eine Änderung der Entscheidung auf Versagung des Rechtsschutzes zu erreichen (vgl. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Dezember 2006, 1 Ta 187/06, juris).

Hiervon sind zwei Ausnahmen zu machen: Ist die Gegenseite anwaltlich vertreten, kann nach § 121 Abs. 2 ZPO eine Anwaltsbeiordnung ohne Rücksicht auf die Erforderlichkeit verlangt werden. Darüber hinaus kann auf gewerkschaftlichen Rechtsschutz nicht verwiesen werden, wenn das Rechtsbegehren des Antragstellers im Interessengegensatz zur Gewerkschaft oder zum Verband steht oder das Vertrauensverhältnis zur Gewerkschaft oder zum Verband so gestört ist, dass eine Verweisung auf diesen Rechtsschutz unzumutbar erscheint (Büttner/Wrobel-Sachs/ Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 7. Auflage, Rn. 332).

Die Klägerin hat ihre satzungsmäßigen Rechte auf Prozessvertretung gegenüber dem SoVD nicht hinreichend ausgeschöpft. Sie hat hierzu mitgeteilt, dass sie beim SoVD "nachgefragt" habe, die Vertretung sei jedoch abgelehnt worden (Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 6. Oktober 2014 sowie vom 30. März 2016). Aus dem Schreiben des SoVD vom 1. Oktober 2014 geht hervor, dass dieser die Vertretung "auch aus Kapazitätsgründen" abgelehnt hat. Hieraus ergibt sich kein Grund im oben genannten Sinne, der eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen würde. Die bloße Anfrage bei der Gewerkschaft und die Ablehnung wegen fehlender "Kapazität" reichen für eine hinreichende Geltendmachung der satzungsmäßigen Rechte nicht aus. Eine Ablehnung aus Kapazitätsgründen hätte von der Klägerin hinterfragt werden können und müssen. Unterlässt sie dies, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.

Ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis im oben genannten Sinne ist weder behauptet noch glaubhaft gemacht worden. Auch ein Interessengegensatz ist nicht gegeben.

Im Ergebnis kann es in einem solchen Fall nicht zu Lasten der Staatskasse gehen, dass die Klägerin ihr Vermögen nicht hinreichend ausschöpft.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI9735928

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