Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinder- und Jugendhilfe. Verhältnis zu anderen Leistungen. Abgrenzung zur Sozialhilfe. Rangverhältnis iS des § 10 Abs 4 SGB 8 nur bei Gleichartigkeit der Leistungen. Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie. Sozialhilfeleistung erst seit Inkrafttreten des § 54 Abs 3 SGB 12 am 5.8.2009
Leitsatz (amtlich)
Die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie ist erst ab Erlass der Vorschrift des § 54 Abs 3 SGB 12 als eine Maßnahme der Eingliederungshilfe anzusehen. Aufgrund der seitdem bestehenden Gleichartigkeit der Leistungen iS von § 10 Abs 4 S 1 SGB 8 ist der Sozialhilfeträger der zuständige Leistungsträger. Für die Zeit bis zum 4.8.2009 ist der Jugendhilfeträger der zuständige Leistungsträger. Mit der Einfügung von § 54 Abs 3 SGB 12 hat der Gesetzgeber keine Klarstellung, sondern eine Neuregelung vornehmen und einen "neuen" Leistungstatbestand schaffen wollen (Drucks 16/13417 S 6).
Orientierungssatz
Ein Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe nach § 10 Abs 4 SGB 8 besteht nur, soweit sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl BVerwG vom 2.3.2006 - 5 C 15/05 = BVerwGE 125, 95).
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. Mai 2009 wird aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin mehr als 8.020,70 EUR, d.h. auch Kosten der Aufwendungen für die Zeit bis einschließlich 4. August 2009, zu erstatten.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt ein Fünftel, die Klägerin vier Fünftel der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten die Erstattung der ihr entstandenen Kosten der Unterbringung der mehrfach behinderten am ... 2003 geborenen L. H. (im Weiteren: L.H.) in einer Pflegefamilie für die Zeit vom 19. Januar 2006 bis zum 6. Juni 2010 in Höhe von insgesamt 44.419,22 EUR geltend.
L.H. wurde als extrem unreifes Mädchen in der 23. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von 630 g geboren. Aufgrund von intracraniellen Blutungen und einem posthämorrhagischen Hydrocephalus besteht eine komplexe Mehrfachbehinderung mit erheblichem Entwicklungsrückstand, hochgradiger Sehbehinderung, geistiger und körperlicher Behinderung.
Auf den Antrag der Mutter der L.H. vom 7. Juli 2004 wurde ihr zunächst für ihre Tochter ab dem 1. August 2004 ambulante Eingliederungshilfe und mit Bescheid vom 1. August 2005 teilstationäre Eingliederungshilfe gem. §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) in Form von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) in der Einrichtung integrative Kindertagesstätte "K." des Kinderförderwerkes e.V. in M. für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2010 bewilligt. Den Bescheid erließ die Klägerin im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe. Die Klägerin teilte der Sozialagentur unter dem 2. August 2005 mit, dass aus ihrer Sicht die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers gem. § 97 Abs. 1 SGB XII gegeben sei. Die Leistungsberechtigte gehöre zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen gem. § 53 SGB XII i.V.m. der Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungshilfe-VO). Es liege infolge einer Frühgeburt eine geistige und körperliche sowie eine Sinnesbehinderung vor, wobei die geistige Behinderung als Leitsymptom zu sehen sei.
Am 1. August 2005 wurde L.H. in der vorgenannten integrativen Kindertagesstätte aufgenommen. Am 6. Dezember 2005 fand ein Hausbesuch bei L.H. mit jeweils einer Vertreterin des Jugendamtes und der Sozialagentur statt. Das Jugendamt sei von der integrativen Einrichtung darüber informiert worden, dass L.H. nur unregelmäßig von der Mutter in die Einrichtung geschickt werde. Das Kind werde nicht ausreichend ernährt und die Mutter sei nicht bereit, sich darum zu kümmern, dass das Kind am Morgen mit dem Bus mitgegeben und am Nachmittag wieder nach Hause gebracht werde. Das Gespräch mit der Mutter anlässlich des Hausbesuchs ergab, dass sie kein behindertes Kind haben wolle; es solle in ein Heim. Am 16. Januar 2006 wurde L.H. als Pflegekind in einer Pflegefamilie aufgenommen. Bereits im Rahmen des Hausbesuchs bestand Uneinigkeit über die Kostentragungspflicht hinsichtlich der Unterbringung in der Pflegefamilie.
Am 24. Januar 2006 erteilte die Klägerin der Mutter der L.H. einen vorläufigen Bescheid über die Gewährung von Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII) für ihre Tochter. Aufgrund des Antrags vom 9. Januar 2006 werde ab dem 19. Januar 2006 vorläufig Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII in Form von "Hilfe zur Erziehung und/oder ergänzende Leistungen - § 27...