Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Beitragshaftung. Bevollmächtigtenhaftung gem §§ 150 Abs 2 S 2, 130 Abs 2 S 1 SGB 7. Bestimmung des Unternehmenssitzes. Gründungstheorie. Europarechtskonformität. Niederlassungsfreiheit. UG Ltd bzw UGB
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Bestimmung des Unternehmenssitzes sind neben rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten auch die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten. Auf den organisatorischen Mittelpunkt ist vor allem dann abzustellen, wenn keine rechtlichen Anknüpfungspunkte wie etwa eine Eintragung im jeweiligen Register bzw Bestimmung im Gesellschaftsvertrag vorhanden sind.
2. Die Bevollmächtigtenhaftung nach den §§ 150 Abs 2 S 2, 130 Abs 2 S 1 SGB 7 stellt keine gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung dar.
Orientierungssatz
Die Vorschrift des § 150 Abs.2 S 2 SGB 7 lässt sich auch nicht dahin verstehen, dass die Bevollmächtigtenhaftung nur diejenigen Fälle erfasst, in denen ein Unternehmen ohne Sitz im Inland dort auch über keine Betriebsstätte bzw Zweigniederlassung verfügt, so dass es quasi nicht "greifbar" ist. Für eine derartige einschränkende Auslegung fehlt bei (auch) insoweit unergiebigen Gesetzesmaterialien (siehe BT-Drucks 13/2204, S 110) jeder Anhalt.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. September 2012 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auch für das Berufungsverfahren auf 2.425,63 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist eine Beitragshaftung des Klägers als Bevollmächtigter.
Mit Schreiben vom .. 2008 meldete der 1947 geborene Kläger die Zweigniederlassung D. in M. der - nach britischem Recht in England gegründeten - U.G. B. (nachfolgend: U.G. Ltd.) bei der Beklagten an. Zur Betriebsbeschreibung gab er an, das Unternehmen führe seit dem 11. August 2008 mit ca. 25 Arbeitnehmern Maurer- und Betonarbeiten aus. Er sei als Bevollmächtigter bestellt. Aus einer vom Kläger beigefügten Liste gingen 18 beschäftigte Arbeitnehmer hervor. In der ebenfalls beigefügten Gewerbeanmeldung vom 2008 waren als Tätigkeiten der Gesellschaft die Vorbereitung und Durchführung komplexer schlüsselfertiger Hochbauleistungen sowie Sanierungs- und sonstige Bauvorhaben aufgeführt. Hauptniederlassung und Sitz der U.G. Ltd. sei die in B. Anschrift der Zweigniederlassung sei die P. in M. In der Anmeldung der Zweigniederlassung zum Handelsregister beim Amtsgericht Stendal vom 27. August 2008 gab der Kläger ebenfalls an, Sitz der Ltd. sei B. (Großbritannien); ihr Nominalkapital betrage 200 britische Pfund. Er halte 20 und seine Ehefrau 180 (der 200) Geschäftsanteile. Der Kläger sei Geschäftsführer (director) und ständiger Vertreter der Zweigniederlassung.
Nach der Gründungsurkunde der U.G. Ltd. (Certificate of incorporation) ist diese seit dem 2008 mit Hauptsitz in B. (registered office) im Handelsregister für England und W. (Companies House Cardiff) eingetragen. Geschäftsgegenstand der Gesellschaft ist laut ihrer Satzung (Memorandum and articles of association) die Abwicklung von Geschäften als allgemeines kommerzielles Unternehmen und die Abwicklung anderer Geschäftstätigkeiten oder Handlungen, die von den Geschäftsführern und/oder der Gesellschafterversammlung als für die Gesellschaft vorteilhaft erachtet werden, und jede andere Maßnahme, die direkt oder indirekt der Realisierung der Ziele und dem Vorteil der Gesellschaft dient. Das genehmigte Kapital der Gesellschaft beträgt £200, unterteilt in 200 Anteile zu je £1,00. Gesellschafter sind mit 20 Anteilen der Kläger und 180 Anteilen seine Frau. Die Gesellschaft ist berechtigt, Zweigniederlassungen außerhalb des Vereinigten Königreichs zu gründen. Zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer (director) der Gesellschaft ist der Kläger bestellt.
Mit Beschluss vom 3. September 2008 eröffnete das Amtsgericht Magdeburg über das Vermögen der vom Kläger als Geschäftsführer vertretenen U.G. B. GmbH (ebenfalls mit Sitz in der P. in M.) das Insolvenzverfahren.
Mit Schreiben vom 15. September 2008 bezifferte der Kläger die Lohnsummen der Zweig-niederlassung der U.G. Ltd. für das Geschäftsjahr mit schätzungsweise zusammen 280.000,00 EUR.
Mit Bescheid vom 18. September 2008 nahm die Beklagte die U.G. Ltd. unter der Adresse ihrer Zweigniederlassung in M. bei sich als Mitglied auf und veranlagte sie mit weiterem Bescheid vom selben Tag zu ihrem Gefahrtarif. Ebenfalls mit Bescheid vom 18. September 2008 setzte die Beklagte ihr gegenüber den Beitragsvorschuss für das Geschäftsjahr 2008 sowie ersten und zweiten Vorschussteilbetrag für das Geschäftsjahr 2009 mit insgesamt 14.793,80 EUR fest. Alle diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Laut Handelsregisterauszug des Amtsgerichts Stendal vom 16. Dezember 2008 wurden M. als Sitz der Zweigniederlassung der U.G. Ltd. mit Sitz in B. und als einzelvertretungsberechtigter Director und ständiger Vertreter der Kläger eingetragen.
Unter dem 15. ...