Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Zurückverweisung an die Behörde zum Zweck erforderlicher Ermittlungen
Orientierungssatz
1. Das Landessozialgericht kann durch Urteil eine Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Sozialgericht einen Verwaltungsakt zu Unrecht aus formellen Gründen bzw. ohne Sachentscheidung aufgehoben hat; das ist u. a. dann der Fall, wenn das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben hat, ohne zu den eigentlichen Fragen Stellung zu nehmen.
2. Das Sozialgericht kann nach § 131 Abs. 5 SGG den von einer Behörde erlassenen Verwaltungsakt und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch notwendigen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist.
3. An die Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen und die Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung sind strenge Anforderungen zu stellen. Notwendig ist, dass die Behörde nach personeller und sachlicher Ausstattung die für erheblich gehaltenen Ermittlungen besser bzw. schneller durchführen kann als das Gericht.
4. Die Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen kann sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten, aber auch aus besonders hohen Kosten ergeben.
5. Solche erheblichen Ermittlungsdefizite liegen u. a. dann vor, wenn die Verwaltung unter Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz die Sachverhaltsermittlung in Gänze unterlassen hat und deshalb keine verwertbare Entscheidungsgrundlage vorhanden ist.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) umstritten sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Merkzeichens G ("Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr") im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX).
Die am ... 1967 geborene Klägerin beantragte erstmals am 26. November 2007 die Feststellung von Behinderungen nach dem SGB IX sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und RF ("Gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht"). Sie bezog sich auf eine Gehbehinderung nach Fersenbruch und auf einen Schaden im Kniegelenk. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte ein (Fachärztin für Allgemeinmedizin B., eingegangen am 14. Januar 2008, und Facharzt für Innere Medizin Dr. J., eingegangen am 7. März 2008). Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. behandelte den Sohn der Klägerin; er nahm mit Bericht vom 6. Dezember 2007 Stellung. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam nach Auswertung der Berichte zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestünden eine psychische Störung und venöse Durchblutungsstörungen des rechten Beins, was einen Gesamt-GdB von 20 begründe. Es seien noch Angaben zur Belastbarkeit und zu den Bewegungsmaßen des rechten Beines und der Kniegelenke erforderlich. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Chirurgie Dipl.-Med. H. vom 2. Mai 2008 ein, wonach die Klägerin bei ihrer letzten Vorstellung in der Praxis am 4. Mai 2004 noch über belastungsabhängige Schmerzen im rechten Sprunggelenk bei sonst guter Beweglichkeit ohne Schwellung nach Weber-B-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenkes geklagt habe. Nach erneuter Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2008 einen GdB von 20 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 11. Juli 2008 Widerspruch ein und machte folgende Funktionsstörungen geltend, die unzutreffend bewertet seien: Gehbehinderung durch Fersenbruch und Binnenschäden der Kniegelenke, Luftbeschwerden wegen chronischer Bronchitis und Asthma, respiratorische Funktionsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, die die Lebensgestaltung und -qualität im Sinne einer schweren Störung beeinträchtige, Adipositas per magna und Diabetes mellitus. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam am 27. August 2008 zu dem Ergebnis, dass neben den schon festgestellten Behinderungen (psychische Störung: GdB von 20, venöse Durchblutungsstörung: GdB von 10) zusätzlich eine Lungenfunktionsstörung in Folge einer Adipositas mit einem GdB von 10 zu bewerten sei, es aber bei einem Gesamt-GdB von 20 bleibe. Die Beklagte holte einen Befundbericht vom 18. September 2008 der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin Dr. A. ein. Die Psychologin diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, un...