Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. Anforderungen an eine wirksame Betreibensaufforderung. kein Nachrang der Betreibensaufforderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist für eine wirksame Betreibensaufforderung hinreichend, wenn für den Prozessbevollmächtigten ohne weiteres und klar erkennbar ist, welche Erklärung er beibringen sollte. Hier kannte der Prozessbevollmächtigte die gerichtliche Verfügung, auf die die Betreibensaufforderung Bezug nahm.

2. Der Gesetzgeber wollte mit der Klagerücknahmefiktion den Sozialgerichten eine zusätzliche Möglichkeit verschaffen, Verfahren beschleunigt zu beenden. Deswegen besteht auch kein Nachrang der Betreibensaufforderung gegenüber anderen Maßnahmen des Gerichts, etwa einer Fristsetzung nach § 106a SGG.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.03.2021; Aktenzeichen B 5 R 296/20 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung von rentenrechtlichen Zeiten. Sie hat Berufung eingelegt, nachdem das Sozialgericht Magdeburg (SG) durch Gerichtsbescheid festgestellt hat, dass ihre Klage als zurückgenommen gelte.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2016 stellte die Beklagte Zeiten gemäß § 149 Abs. 5 Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) verbindlich fest. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie begehrte die Berücksichtigung verschiedener Zeiträume als Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II, u. a. vom 1. Mai bis zum 31. August 2008. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2016 wies die Beklagte diesen Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die beanstandeten Zeiten vom Jobcenter storniert bzw. bereits als Pflichtbeitragszeiten berücksichtigt worden seien.

Die Klägerin hat am 17. März 2016 Klage beim SG erhoben. Das SG hat ihren Prozessbevollmächtigten mit Verfügung vom 24. März 2016 erfolglos aufgefordert, den Widerspruchsbescheid in Kopie zu übersenden. Mit Verfügung vom 3. Mai 2016 hat es um Klagebegründung binnen sechs Wochen gebeten. Mit weiterer Verfügung vom 4. August 2016 hat es an die Übersendung der Klagebegründung erinnert. Mit einer Betreibensaufforderung vom 9. November 2016 hat es den Prozessbevollmächtigten erneut aufgefordert, die Klage zu begründen und einen Klageantrag zu formulieren. Mit Schreiben vom 26. Januar 2017 hat der Prozessbevollmächtigte daraufhin die Klage damit begründet, die Bezugszeiten von Arbeitslosengeld II seien vollständig in das Versicherungskonto der Klägerin aufzunehmen.

Mit Verfügung vom 5. Mai 2017 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, es beabsichtige, zwei Gerichtsakten mit dem Aktenzeichen AS zum Verfahren beizuziehen. Insofern werde um Einverständnis gebeten. Mit Schreiben vom 6. Juli 2017 hat es an die Erledigung erinnert. Mit weiterer Verfügung vom 7. August 2017 hat es erneut an das Schreiben vom 5. Mai 2017 erinnert und eine Frist von zwei Wochen gesetzt. Mit neuerlichem Schreiben vom 29. September 2017 hat es den Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass er auf die gerichtliche Anfrage vom 5. Mai 2017 bisher nicht reagiert habe, und gefragt, ob noch Interesse am Klageverfahren bestehe. Mit einer Betreibensaufforderung vom 17. Januar 2018 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass im Hinblick auf die bisherige Nichteinreichung der angeforderten Erklärung gemäß der Verfügung vom 5. Mai 2017 und der Nichtbeantwortung der gerichtlichen Erinnerungsschreiben sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Klage bestünden. Er werde letztmalig aufgefordert, die mit gerichtlichem Schreiben vom 5. Mai 2017 geforderte Erklärung einzureichen und damit das Verfahren zu betreiben. Diese Verfügung ist mit dem vollständigen Namen der Richterin unterzeichnet und dem Prozessbevollmächtigten am 26. Januar 2018 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gelte. Daraufhin hat dieser unter dem 11. Mai 2018 erklärt, er habe bereits „mit Schriftsatz vom 14. März 2018 mitgeteilt, dass an der Klage festgehalten“ werde. Vorsorglich werde Wiederaufnahmeantrag gestellt. Daraufhin hat das SG den Prozessbevollmächtigten informiert, dass ein Schriftsatz vom 14. März 2018 nicht vorliege. Der Prozessbevollmächtigte hat hiernach am 24. Mai 2018 ein mit Kopie gestempeltes Schreiben vom 14. März 2018 an das SG übersandt, das von ihm unterzeichnet worden ist. Eine Anschrift des Gerichts findet sich auf diesem Schreiben nicht. In dem Schreiben wird ausgeführt, dass an der Klage festgehalten werde und dass eine gerichtliche Verfügung vom 5. Mai 2017 bei ihm nicht vorliege.

Nach diesbezüglicher Anhörung hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 7. Mai 2019 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Klagerücknahme beendet sei. Die Klägerin sei über den Zeitraum von Mai 2017 bis Mai 2018 trotz zwischenzeitlicher ...

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