Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Tätigkeit. Gewinnermittlung. Betriebsausgaben. Verbindlichkeiten aufgrund von früher ausgeübten gewerblichen Tätigkeiten. Rückstellungen aus aktuellen Betriebseinnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Im SGB II findet kein "horizontaler Verlustausgleich" zwischen mehreren Gewerbebetrieben statt.
2. Die Absetzung von Aufwendungen als Betriebsausgaben erfordert neben dem Anfall im aktuellen Bewilligungszeitraum einen sachlichen Zusammenhang zu den in diesem Zeitraum zufließenden gewerblichen Einnahmen.
3. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass Aufwendungen eines Selbständigen, welche nicht in einem Zusammenhang mit der aktuell ausgeübten gewerblichen Tätigkeit stehen, sondern wegen einer anderen (ungleichartigen) sowie bereits beendeten Tätigkeit anfallen, nicht als Betriebsausgaben der aktuellen Tätigkeit anerkannt werden können.
4. Selbst gebildete Rückstellungen aus den aktuellen Betriebseinnahmen zur Begleichung von lediglich möglichen, dh noch nicht fälligen, Rückforderungen dieser Einnahmen (hier: Provisionen) sind keine Betriebsausgaben und daher im SGB II nicht gewinnmindernd zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juni 2015 wie folgt abgeändert:
Der Ablehnungsbescheid vom 3. Februar 2009 des Beklagten und der Widerspruchsbescheid vom 23. September 2009 betreffend den Zeitraum Oktober 2008 bis März 2009 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zu 1) für die Monate Oktober und November 2008 einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 27,75 Euro pro Monat, für den Monat Dezember 2008 in Höhe von 135,85 Euro und für die Monate Januar bis März 2009 einen solchen von monatlich 151,38 Euro zu gewähren. Der Beklagte wird zudem verurteilt, den Klägern für den Monat Dezember 2008 jeweils 28,56 Euro als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern 10 Prozent ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit von Oktober 2008 bis März 2009.
Der am ... 1971 geborene Kläger zu 1) hatte seit 1999 ein Gewerbe als selbständiger Handelsvertreter bzw. für Finanzdienstleistungen angemeldet. Seitdem war er, bis er im Jahr 2004 erkrankte, als Finanzberater für ein Finanzvertriebsunternehmen tätig. Nachdem er aus einer Krankentageversicherung keine Zahlungen mehr erhielt, beantragte und bezog er mit seiner damaligen Ehefrau, der Klägerin zu 2), sowie den gemeinsamen beiden Kindern (geboren 1998 und der 2003) seit Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II. Die Miete für die gemeinsam genutzte Wohnung betrug ab dem 1. Oktober 2007 insgesamt 560,14 Euro monatlich (Grundmiete 373,54 Euro, Vorauszahlung Betriebskosten 87,98 Euro, Vorauszahlung Heizkosten 98,62 Euro). Im Dezember 2008 war aus einer Abrechnung der Betriebskosten eine Nachzahlung in Höhe von 192,85 Euro fällig.
Seit dem 1. Oktober 2006 war der Kläger zu 1) aufgrund eines Agenturvertrages als selbständiger Handelsvertreter/Generalvertreter ausschließlich für die V. tätig. Zur Ausübung der Tätigkeit mietete der Kläger zu 1) Büroräume in L. Er beendete die Tätigkeit im Januar 2008 und kündigte den Agenturvertrag mit Wirkung zum 31. März 2008.
Im Januar 2008 schloss der Kläger zu 1) einen Vertriebsvertrag mit der P Finanzberatung AG ab und begann diese Tätigkeit im Februar 2008. Ab 1. April 2009 war er für die A.Vertriebs-AG tätig.
Am 22. September 2008 beantragten die Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger zu 1) reichte eine Einnahmen-/Ausgaben-Rechnung für sein Gewerbe für die Zeit Februar bis Oktober 2008 ein. Er war ab dem 1. September 2008 freiwillig bei der K. krankenversichert und zahlte monatlich 206,88 Euro für die Krankenversicherung sowie 36,34 Euro für die Pflegeversicherung.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2009 lehnte der Beklagte den Antrag für den Zeitraum 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 ab und führte aus, dass mit den derzeit nachgewiesenen Einkommensverhältnissen keine Hilfebedürftigkeit bestünde. Er ging ausweislich Blatt 1052 -1055 der Verwaltungsvorgänge ab Oktober 2008 von einem Einkommen in Höhe von 2.736,08 Euro (bereinigt 2.456,08 Euro) aus. Er ziehe nur noch die tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben ab, da seit dem 1. Januar 2008 Abschreibungen und pauschalierte Abzüge nach der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 17. Dezember 2007 (Alg ll-V) keine Berücksichtigung mehr fänden.
Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2009 Widerspruch.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2009 zurück. Es seien die vom Kläger zu 1) eingereichten Einnahmen- und Überschussrechnungen für den Zeitraum Januar bis Okt...