Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. mündliche Verhandlung. Entscheidung in Abwesenheit des Klägers. Nichterscheinen des Prozessbevollmächtigten im Verhandlungstermin. Verschulden. Aufenthalt im Corona-Risikogebiet. Quarantänepflicht. Unterlassen von Maßnahmen zur Ermöglichung der Terminswahrnehmung
Leitsatz (amtlich)
Ein verschuldetes Nichterscheinen zum Verhandlungstermin (§ 202 S 1 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO), das dem Mandanten zuzurechnen ist, liegt vor, wenn ein Prozessbevollmächtigter sich in Kenntnis des Verhandlungstermins in ein Corona-Risikogebiet begibt, nach der Rückkehr quarantänepflichtig ist, die Quarantäne nicht durch einen ihm möglichen Nachweis eines negativen Corona-Tests beendet und gleichwohl keine Vorsorge für eine Terminswahrnehmung trifft.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. August 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.
Die am ... 1970 geborene Klägerin absolvierte erfolgreich eine Ausbildung zum Facharbeiter für ... (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1988) und war zunächst im erlernten Beruf im Innendienst und zuletzt als Zustellerin bei der ..... AG versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 6. Oktober 2014 ist sie mit Unterbrechungen arbeitsunfähig erkrankt, bezog vom 11. August 2015 bis zum 16. Juli 2017 Krankengeld und vom 17. Juli 2017 bis zum 15. Juli 2018 Arbeitslosengeld. Seitdem erhält sie keine Sozialleistungen mehr. Sie bezieht nach ihren Angaben eine private Berufsunfähigkeitsrente.
Bei der Klägerin ist zuletzt seit dem 22. November 2018 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt worden. Sie verfolgt in dem beim Sozialgericht Halle anhängigen Streitverfahren S ..... die Feststellung eines höheren GdB.
Die Klägerin beantragte am 16. Juni 2017 bei der Beklagten, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu bewilligen. Seit dem 27. August 2015 sei sie aufgrund einer Depression und auftretender Panikattacken nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Beklagte zog daraufhin den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik G (Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie) vom 1. November 2016 über die vom 31. August bis zum 19. Oktober 2016 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Danach seien bei der Klägerin als Diagnosen eine Panikstörung, ein chronisch rezidivierendes Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule mit pseudoradikulärer Symptomatik rechtsseitig und degenerativen Veränderungen sowie muskulären Dysbalancen, eine Gonarthrose rechts bei Zustand nach Arthroskopie im April 2012 und Chondroplastik in 2013 sowie ein medikamentös therapierter arterieller Hypertonus zu berücksichtigen. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werden körperlich mittelschwere Arbeiten in gelegentlichem Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen in Tages-, Früh- und Spätschicht sechs Stunden und mehr täglich für zumutbar erachtet. Wegen der Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates sollten Arbeiten mit überwiegend einseitiger Körperhaltung, häufiges Bücken und Hocken, häufige Überkopfarbeiten und Torsionsbewegungen der Wirbelsäule oder starke Vibrationsbelastungen sowie hohe Belastungen für das rechte Kniegelenk vermieden werden. Die Möglichkeit zum Positionswechsel sollte gegeben sein. Aufgrund der Neigung zu ängstlich-depressiver Dekompensation sollten Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Stressbelastbarkeit und mit permanentem Zeitdruck (Akkordarbeit) nicht zugemutet werden. Aufgrund der emotionalen Instabilität müssten zudem Nachtschichten gemieden werden. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Postzustellerin könne die Klägerin sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Die Selbsteinschätzung der Klägerin zur beruflichen Leistungsfähigkeit stimme mit dieser Beurteilung überein. Die Entlassung erfolge arbeitsunfähig zur Aufnahme einer stufenweisen Wiedereingliederung.
Zudem holte die Beklagte Behandlungs- und Befundberichte von dem hausärztlich tätigen Internisten B. vom 3. Juli 2017 und der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie N. vom 14. Juli 2017 ein. Sodann veranlasste die Beklagte die Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt f. Psychiatrie und Psychotherapie L. (im weiteren L.). Dieser untersuchte die Klägerin am 24. Mai 2018 ambulant und erstattete sein Gutachten unter dem 2. Juli 2018. Danach bestünden bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte bis mittelgradige depressive Episode, sowie eine Panikstörung. Die Klägerin sei deshalb seit 2015 krankgeschrieben. Der Versuch einer beruflichen Wiedereingliederung sei nach 14 Tagen abgebrochen worden. Die Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Eine stationäre psychiatrische Aufnah...