Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Ausbildungsgeld gem § 104 SGB 3. hier kein Anteil zweckbestimmter Einnahmen. Rücknahme der Leistungsbewilligung. grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit. Zurechenbarkeit des Verschuldens des Bevollmächtigten. Verböserungsverbot. Monatsprinzip
Leitsatz (amtlich)
1. Ausbildungsgeld nach §§ 102 ff SGB 3 für eine behinderten Menschen vorbehaltene Berufsausbildung ist als Einkommen iS von § 11 SGB 2 anzurechnen, soweit es keinen Anteil für Fahrt- und Lehrgangskosten enthält. Eine Anrechnungsfreiheit entsprechend § 82 Abs 3 S 3 SGB 12 (so BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R = BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6 für Besucher des Eingangsbereichs einer WfbM) kommt nicht in Betracht.
2. Hat der volljährige Leistungsberechtigte seinen Vater bevollmächtigt, alle Angelegenheiten nach dem SGB 2 für ihn zu regeln und ist dieser tätig geworden, ist für die Feststellung des subjektiven Verschuldensvorwurf iS von § 45 Abs 2 S 3 SGB 10 auf diesen abzustellen.
3. Eine unzulässige Verböserung im Widerspruchsverfahren liegt vor, wenn die Aufhebung und Erstattung überzahlter Leistungen für einen Monat erhöht wird, auch wenn der Betrag sich insgesamt reduziert.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 24. April 2009 und der Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2007 und des Teilanerkenntnisses vom 13. April 2012 werden abgeändert, soweit die Leistungsbewilligung über einen Betrag von mehr als 4.145,13 EUR zurückgenommen und zur Erstattung gestellt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und Berufungsbeklagte wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von 4.153,13 EUR wegen überzahlter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 31. Mai 2006.
Der am ... 1985 geborene Kläger hatte nach Abschluss der Lernbehindertenschule von August 2003 bis 8. August 2006 beim Beruflichen Ausbildungs- und Vorbereitungswerk gGmbH D. eine Ausbildung zum Werker im Gartenbau absolviert. Er hatte mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 16. Juni 2003 als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit vom 18. August 2003 bis 17. Februar 2005 Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 282,00 EUR sowie Lehrgangskosten erhalten. Mit weiterem Bescheid vom 14. Februar 2005 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit das Ausbildungsgeld auch für die Zeit vom 18. Februar 2005 bis 23. Mai 2006 in Höhe von monatlich 282,00 EUR und vom 24. Mai bis 17. August 2006 in Höhe von monatlich 353,00 EUR, zusätzlich Lehrgangs- sowie Reisekosten.
Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum ein gemeinsames Konto mit seinen Eltern und bewohnte mit diesen sowie drei Geschwistern eine Wohnung. Zum 1. April 2006 erfolgte ein gemeinsamer Umzug im gleichen Haus. Die Warmwasserbereitung erfolgte in beiden Wohnungen mit Elektroboilern. Die übrige Familie bezog als Bedarfsgemeinschaft ebenfalls Leistungen nach dem SGB II. Im streitigen Zeitraum war folgende Miete zu entrichten: Februar bis Mai 2005: 385,57 EUR/Monat (Kaltmiete und Betriebskosten 295,57 EUR, Gasabschlag 90 EUR); Juni bis Juli 2005: 405,57 EUR/Monat (Kaltmiete und Betriebskosten 295,57 EUR, Gasabschlag 110 EUR), August 2005 bis Februar 2006: 407,23 EUR/Monat (Kaltmiete und Betriebskosten 297,23 EUR, Gasabschlag 110 EUR), März 2006: 417,23 EUR/Monat (Kaltmiete 297,23 EUR, Gasabschlag 120 EUR), April bis Mai 2006: 515,37 EUR/Monat (Kaltmiete und Betriebskosten 415,37 EUR, Gasabschlag 100 EUR).
Der Vater des Klägers (im Weiteren: Zeuge) beantragte am 7. Dezember 2004 für diesen die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II und unterzeichnete mit "i.A.". Er legte eine Vollmacht des Klägers vom 18. Dezember 2004 folgenden Inhalts vor: "Ich T. L. geb. 85 gebe die uneingeschränkte Vollmacht das mein Vater M. L. geb. 56 alles in meinen Namen erledigen darf". Eine weitere Vollmacht stammt vom 31. Mai 2006. Beigefügt war eine Mietbescheinigung über eine Gesamtmiete von 295,57 EUR/Monat sowie eine Bescheinigung über Abschlagsbeträge für Gaslieferung in Höhe von 90,00 EUR/Monat (= 385,57 EUR). Als Einkommen wurden das Kindergeld sowie das Ausbildungsgeld angegeben. Dem Antrag war eine Kopie des Bescheids der Bundesagentur für Arbeit vom 16. Juni 2003 für die Zeit bis 17. Februar 2005 beigefügt.
Der Beklagte lehnte zunächst die Bewilligung von Leistungen ab (Bescheid vom 12. Januar 2005). Auf den dagegen mündlich eingelegten Widerspruch des Klägers bewilligte er mit Bescheid vom 11. April 2005 Leistungen für die Zeit vom 1. Februar bis 30. Mai 2005 in Höhe von 111,42 EUR für Februar 2005 und in Höhe von 271,22 EUR/Monat ab März 2005. Er legte als Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) 64,22 EUR/Monat (=1/6 der G...