Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108. "Konsensempfehlungen" aus dem Jahr 2005. aktueller Stand der medizinischen Wissenschaft. Konstellation B 2. haftungsbegründende Kausalität. Wahrscheinlichkeit. bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren Lendenwirbelsäule. Chondrose. Bandscheibenvorfall
Leitsatz (amtlich)
1. Die "Konsensempfehlungen" aus dem Jahr 2005 entsprechen weiterhin dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Sie geben diesen mit dem Inhalt wieder, den an der Erarbeitung beteiligte Sachverständige in Übereinstimmung mit der Textauslegung als maßgeblich bezeichnen.
2. Es entspricht der Konstellation B 2 der "Konsensempfehlungen", wenn neben einem unteren Abschnitt ein zweiter Abschnitt der Lendenwirbelsäule von einer Chondrose oder einem Vorfall befallen ist und der Sachverständige den Zusammenhang mit beruflicher Belastung für wahrscheinlich erachtet. Der Befall eines dritten Abschnitts ist nach den "Konsensempfehlungen" nicht allgemein erforderlich.
Orientierungssatz
Zu den Voraussetzungen des Vorliegens einer Konstellation B2 der Konsensempfehlungen.
Tenor
Die Berufung wird mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass die Bandscheibenschäden in der Lendenwirbelsäule des Klägers - Höhenminderung bzw. fortgeschrittene Chondrose im Segment L3/4 sowie im Segment L5/S1, verbunden mit einem lokalen Lumbalsyndrom, pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung und einem geringgradigen, sensiblen S1-Wurzelreizsyndrom - ab dem 1. August 2005 eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sind.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK Nr. 2108) vorliegt.
Der Kläger ist am 1962 geboren. Von 1979 bis 1982 absolvierte er eine Lehre zum Baufacharbeiter und leistete anschließend bis Oktober 1983 seinen Wehrdienst. Zwischen November 1983 bis März 1990 arbeitete er im VEB W. D. Hier übte er nach eigenen Angaben zu 70 Prozent Fliesenverlegungsarbeiten sowie zu dem übrigen Teil Transporttätigkeiten aus. Auch anschließend war er - unterbrochen von einer knapp halbjährigen Arbeitslosigkeit - als Fliesenleger angestellt. Seit Mai 1993 war er als selbstständiger Fliesenleger tätig und hat hierbei u.a. 50 kg schwere Zementsäcke auf der Schulter getragen und abgesetzt. Von Mai 1996 bis Juli 2005 beschäftigte der Kläger ein bis drei Mitarbeiter, die überwiegend die Transportarbeiten durchführten. Nur an ca. 100 Arbeitstagen pro Jahr transportierte der Kläger nach eigenen Angaben über jeweils 50 bis 100 Meter zehn Fliesenpakete pro Tag (Gewicht 8 kg). Seit 1. August 2005 beschränkt sich der Kläger in seiner selbständigen Tätigkeit auf Baustellenkontrollen, Beratung und die Anfertigung von Angeboten. Wirbelsäulenbelastungen treten insoweit seitdem nicht mehr auf.
Die Präventionsabteilung der Beklagten kam im Laufe des Klageverfahrens zu dem Ergebnis, dass die Lebensdosis im Sinne der BK Nr. 2108 mit Sicherheit nicht unter 12,5 MNh, aber auch nicht über 25 MNh gelegen habe.
Eine Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule (LWS) am 30. August 1995 ergab eine Hyperlordose sowie eine nach links gerichtete Skoliose der LWS mit annähernd normal hohen Wirbelkörpern mit auffallenden Unregelmäßigkeiten an Deck- und Grundplatten sowie reaktiven Sklerosierungen . Es zeigten sich verschmälerte Zwischenwirbelräume in allen LWS-Segmenten bei primären Bandscheibenläsionen. Weiterhin wurde eine beginnende Spondylarthrose bei L5/S1 festgestellt. Dieses Bild wurde als degenerative Veränderung im Sinne einer Osteochondrosis intervertebralis eingestuft. Bei einer Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule (HWS) am 27. Februar 1996 waren degenerative Veränderungen bei einer Osteochondrose intervertebralis bei C6/C7 bei primärer degenerativ bedingter Bandscheibenerniedrigung sowie beginnender Spondylarthrose im Segment zum Übergang zur Brustwirbelsäule (BWS) erkennbar.
Eine Röntgenuntersuchung der BWS und LWS am 23. Dezember 2004 belegte eine deutliche Fehlstellung mit erheblichen degenerativen Veränderungen mit deutlichen Bandscheibenschäden vom Lendenwirbelkörper 3 abwärts. Eine Röntgenaufnahme der HWS zeigte am 19. August 2004 eine deutliche Steilstellung bei Osteochondrose und Spondylose bei C5 bis C7 und eine deutliche Unkarthrose mit beginnenden Retrospondylophyten bei C5/6 beidseits. Bei einer Untersuchung des Orthopäden Dr. B. am 21. Juni 2005 gab der Kläger wiederkehrende Dysästhesien im LWS-Bereich an. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der LWS am 7. Juli 2005 zeigte einen Zustand nach Morbus Scheuermann mit deutlichen knöchernen degenerativen Veränderungen ohne signifikante Spinalkanalstenose oder knöcherne Destruktionen. Es bestanden degenerativ veränderte Bandscheiben mit flachen NPP’en (Nukleus pulpos...