Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. GdS-Feststellung. posttraumatische Belastungsstörung. A-Kriterium. keine Lebensgefahr bei Daumen-Verdrehung. subjektive Angst des Klägers vor anschließenden weiteren Schädigungen durch den Täter
Leitsatz (amtlich)
Eine posttraumatische Belastungsstörung setzt ein Ereignis von einigem Gewicht voraus. Ein solches kann beim Verdrehen des Daumens mit Sehnenabriss unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalls (Angriff im öffentlichen Kassenbereich eines Einkaufsmarktes; keine psychiatrische Behandlung nach dem Ereignis; widersprüchliche Angaben zum Alltags- und Sozialverhalten; mehrfache psychiatrische Behandlungen vor dem Ereignis; Berentung wegen psychischer Erkrankungen; Aggravation während der Begutachtung) nicht angenommen werden.
Orientierungssatz
Es kommt auch nicht darauf an, ob das Opfer dieses Ereignis als existenziell bedrohlich empfunden hat.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als weitere Schädigungsfolge sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Der am ... 1943 geborene Kläger beantragte am 6. Oktober 2008 beim Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung und machte geltend, er sei am 10. November 2003 von einem Bus angefahren worden. Seitdem leide er u.a. unter Schwindel, Kopfschmerzen, Gleichgewichts- und Konzentrationsstörungen. Außerdem sei er am 21. August 2008 Opfer einer Gewalttat geworden. Er habe gegen 21 Uhr in einem Einkaufsmarkt mit der Freundin des Täters im Kassenbereich gesprochen. Der Täter habe gesagt: "Machen Sie meine Freundin nicht an". Er habe dem Täter gesagt, sie habe ihm das erlaubt. Dann sei der Täter "böse" geworden und habe ihm "den Daumen gebrochen". Einen jungen Mann, der gesagt habe, lassen sie den alten Mann in Ruhe, habe der Täter anschließend "verprügelt". Danach seien der Täter und seine Freundin geflohen. Er könne seine "linke Hand dauerhaft nicht mehr nutzen, da der Daumen gebrochen und die Sehne abgerissen" sei. Er habe ständige Schmerzen und könne mit seinen Händen "keine Arbeiten ausführen". Seine Selbstversorgung sei beeinträchtigt. Er könne keine Flaschen mehr öffnen und wegen der Schmerzen nicht schlafen. In Anlage übersandte er den Arztbrief des Universitätsklinikums L. vom 21. August 2008. Danach habe der Kläger angegeben, in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen zu sein. Dabei sei der linke Daumen umgeknickt worden. Anschließend sei er wegen der Schmerzen in die Notfallaufnahme gekommen. Die Röntgenuntersuchung habe einen knöchernen Kapselausriss des Grundgelenks des Daumens ergeben. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2008 nahm der Kläger den Antrag bezüglich des Ereignisses vom 10. November 2003 zurück.
Die durch den Beklagten beigezogenen Strafakten haben ergeben, dass die polizeilichen Ermittlungen aufgrund des Ereignisses vom 21. August 2008 eingestellt wurden, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Außerdem holte der Beklagte einen Befundschein des Dipl.-Med. B. vom 27. August 2009 ein, der über eine unregelmäßige hausärztliche Betreuung des Klägers berichtete. Der Kläger habe ihn am 9. September 2008 wegen eines bestehenden Reizhustens aufgesucht und dabei den Arztbrief der Universität L. vom August 2008 übergeben. Am 23. September 2008 sei der Kläger wegen einer Schutzimpfung erschienen, ohne die im August erlittenen Verletzungen anzusprechen. Am 4. November 2008 habe der Kläger über belastungsabhängige Schmerzen und eine Kraftminderung der linken Hand und des Grundgelenks des ersten Fingers berichtet. Insgesamt könne er nicht einschätzen, ob und in welchem Umfang ein Folgeschaden durch die Gewalttat vom August 2008 eingetreten sei. In Anlage übersandte der Arzt einen Bericht des Universitätsklinikums L. vom 4. März 2009 mit folgenden Diagnosen: Hypertensive Herzkrankheit, Chronische Niereninsuffizienz im Stadium III, Hyperurikämie, HLP, Zustand nach Radiusfraktur (Speichenbruch) links.
Des Weiteren zog der Beklagte die Verwaltungsakte des Klägers im Verfahren auf Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) bei. Nach medizinischen Ermittlungen hatte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 21. Juni 2006 beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 u.a. wegen einer psychischen Störung mit Auswirkungen auf verschiedene Organsysteme (Einzel-GdB 30) festgestellt. In seinem Antrag hatte der Kläger u.a. angegeben, er ermüde schnell bei körperlichen Anstrengungen und könne seinen Beruf als Bauleiter und Bauzeichner nicht mehr ausüben. Er brauche Hilfe beim An- und Ausziehen, weil er die Finger nicht richtig bewegen könne. Er könne auch keine weiten Wege zu Fuß bewältigen. Nach dem Ereignis vom 21. August 2008 hatte d...