Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Vierpersonenhaushalt im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Angemessenheitsprüfung. schlüssiges Konzept
Leitsatz (amtlich)
1. Das Gebiet des Landkreises Wittenberg stellt im Rahmen der Anwendung von § 22 Abs 1 SGB II keinen einheitlichen Vergleichsraum dar. Das Kreisgebiet unterfällt in die Vergleichsräume Lutherstadt Wittenberg und "Übriger Landkreis", sodass der Landkreis Wittenberg aus zwei Vergleichsräumen besteht.
2. Um bei einem sog schlüssigen Konzept nach Vollerhebung des Wohnungsmarktes eine zutreffende Ableitung für das untere Wohnungsmarktsegment vornehmen zu können, ist eine nach der Größe der Bedarfsgemeinschaften differenzierte Nachfrageanalyse zu erstellen. Folgt daraus für Ein- und Fünfpersonenhaushalte ein Nachfrageranteil von 38 bzw 39%, der deutlich über dem Durchschnitt (25 bis 30%) liegt, reicht es nicht aus, einen Perzentilwert von 40 für diese Wohnungsgrößen zugrunde zu legen.
3. Der kommunale Träger muss in die Angemessenheitsrichtlinie eine entsprechende Regelung aufnehmen, wenn der Konzeptersteller in der Mietwerterhebung bei bestimmten Wohnungsgrößenklassen festgestellt hat, dass aufgrund einer zu geringen Anzahl von Angebotsmieten ein Abgleich der Verfügbarkeit von Wohnungen auf dem aktuellen Mietwohnungsmarkt zum ermittelten Bestandsmietenwert als Angemessenheitswert nicht möglich und daher über die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach Einzelfallprüfung zu entscheiden ist. Trifft der kommunale Träger keine entsprechende Regelung, ist die Verwaltungsvorschrift insoweit rechtswidrig und der für die betroffene Wohnungsgröße festgelegte Angemessenheitswert beruht nicht auf einem schlüssigen Konzept.
4. Die unzureichende Datengrundlage im Vergleichsraum "Übriger Landkreis" für Vierpersonenhaushalte und größer, die zum maßgeblichen Stichtag 1.7.2010 nicht nachträglich ergänzt werden kann, führt zu einem Erkenntnisausfall und zur Unschlüssigkeit des Konzepts für dieses Wohnungsmarktsegment mit der Folge, dass zur Begrenzung der Unterkunftskosten bei Bedarfsgemeinschaften mit vier und mehr Personen auf die maßvoll erhöhten Tabellenwerte nach § 12 WoGG zurückzugreifen ist.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagten hat den Klägern deren notwendige außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dabei geht es im Überprüfungsverfahren um die Höhe der zu berücksichtigenden Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2012.
Die 1988 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte zu 1 (im Weiteren: Klägerin zu 1) wohnte bis einschließlich März 2012 zusammen mit ihrer am ... 2007 geborenen Tochter, der Klägerin zu 3, ihrem 1985 geborenen Lebensgefährten, dem Kläger zu 2, und dem gemeinsamen, am ... 2012 geborenen Sohn, dem Kläger zu 4, in einer 54 m² großen Dreizimmerwohnung in der S. straße in Kemberg, für die eine Gesamtmiete von 398,25 EUR zu zahlen war.
Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten SGB II-Leistungen. Einen bereits im November 2011 – vor der Geburt des Klägers zu 4 – gestellten Antrag auf Zusicherung der Übernahme der KdUH nach einem Umzug in eine 119 m² große Wohnung in Reuden, einem Ortsteil von Kemberg, lehnte der Beklagte wegen unangemessener Kosten ab. Damals gaben die Kläger zur Begründung ihres Umzugsbegehrens an, die derzeit bewohnte Wohnung sei zu klein für die zukünftig vierköpfige Familie. Zudem sei sie von Schimmel befallen.
Zum 1. April 2012 bezogen die Kläger – ohne eine Zusicherung des Beklagten einzuholen – eine 91,33 m² große Vierzimmerwohnung in der L.er Straße in Kemberg. Für die Wohnung, die sich in einem Haus mit einer Gesamtwohnfläche von 150 m² befindet und mit Gas beheizt wird, war eine Bruttokaltmiete (BKM) von 483,13 EUR zu zahlen (391,80 EUR Kaltmiete und 91,33 EUR Betriebskostenvorauszahlung); hinzu kam eine Vorauszahlung für die Heizkosten von monatlich 128,94 EUR.
Im streitigen Zeitraum bezogen die Kläger zu 3 und 4 Kindergeld von 184,00 EUR; die Klägerin zu 3 erhielt zusätzlich Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) von 133,00 EUR. Die Klägerin zu 1 erhielt Elterngeld von 150,00 EUR. Aus einer Arbeitsaufnahme bei einem Bewachungsunternehmen im September 2012 floss dem Kläger zu 2 im Oktober 2012 erstmalig ein Nettoeinkommen von 162,00 EUR (165,00 EUR brutto) zu.
Auf den Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 24. April 2012 für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2012 monatliche Gesamtleistungen in Höhe von 1.009,22 EUR. Dabei berücksichtigte er an KdUH monatlich 518,22 EUR. Die BKM von 397,80 EUR entsprach dem Angemessenheitswert nach der Verwaltungsvorschrift des Landkreises Wittenberg für einen Vierpersonenhaushalt im Wohnungsmarkttyp ...