Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rentner. Beitragsnachforderung. Befugnis des Rentenversicherungsträgers zur isolierten Entscheidung über den Beitragstatbestand vor Einbehaltung rückständiger Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente. Verwirkung kommt bei behördlichem Unterlassen nicht zum Tragen. keine Anwendung der §§ 44ff SGB 10. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Rentenversicherungsträger ist berechtigt, vor der Einbehaltung rückständiger Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente durch feststellenden Verwaltungsakt zunächst isoliert über den Beitragstatbestand zu entscheiden, um eine spätere Einbehaltung vorzubereiten (ebenso: BSG vom 31.3.2017 - B 12 R 6/14 R = SozR 4-2500 § 255 Nr 2).
2. Das im Sozialversicherungsrecht anerkannte Rechtsinstitut der Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben kommt bei einem behördlichen Unterlassen nicht zum Tragen, da dieses einen Vertrauenstatbestand nicht begründen kann.
Orientierungssatz
1. § 255 SGB 5 und § 60 SGB 11 sind vorrangige Regelungen zu den §§ 45, 48 SGB 10, so dass die Vorschriften der §§ 44ff SGB 10 keine Anwendung finden.
2. Die Auslegung der Vorschrift des § 255 Abs 2 S 1 SGB 5, wonach sich der Rentenversicherungsträger zunächst auf (bloße) Feststellungen über den Beitragstatbestand beschränken durfte und er nicht in jedem Fall zugleich die Einbehaltung der Beiträge (durch Aufrechnung) verfügen musste, stellt eine hinreichende Rechtsgrundlage dar, die dem Vorbehalt des Gesetzes genügt.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Feststellung zum Beitragstatbestand ohne gleichzeitige Einbehaltung von Pflichtbeiträgen zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aus der Erwerbsminderungsrente nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) und dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung - SGB XI) für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008.
Der 1947 geborene Kläger ist gelernter Industriekaufmann und war in der Zeit von 1971 bis 1999 als Beitragsprüfer, teilweise auch als Geschäftsstellenleiter bei der H.er Zimmererkrankenkasse - Krankenkasse für Bau- und Holzberufe (HZK) beschäftigt. Er war bei der HZK freiwillig kranken- und pflegeversichert.
Am 3. Mai 2002 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Ihm wurden ein Antragsvordruck mit Erläuterungen und das Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner ausgehändigt. Der Kläger beantragte am 2. September 2002 Zuschüsse zu den Aufwendungen zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für den Fall, dass keine Versicherungspflicht in der Kranken- bzw. Pflegeversicherung bestätigt werde. Auf dem Antragsformular gab er an, nicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert zu sein.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Mai 2002 auf Dauer. Sie führte für ihn keine Beiträge zur Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ab. Sie ging davon aus, dass die Rente zum Zeitpunkt der laufenden Zahlung nicht der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht unterlegen habe. Einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- oder Pflegeversicherung gewährte die Beklagte jedoch auch nicht.
Am 10. September 2004 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor. Er beantragte die Überprüfung des Bewilligungsbescheides über die ihm gewährte Rente wegen Erwerbsminderung, da keinerlei Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge berücksichtigt worden seien. Er bat um Feststellung, ob er in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung freiwillig oder pflichtversichert sei.
In dem beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sind inhaltlich unterschiedliche Meldungen der HZK über den Versicherungsstatus des Klägers enthalten. In einem Meldesatz vom 14. August 2003 war der Kläger sowohl bis zum 31. Januar 2003 als auch ab dem 1. Februar 2003 als pflichtversichert registriert. Nach einer telefonischen Mitteilung vom 24. September 2004 sei der Kläger entgegen einer auf den 24. September 2004 datierten schriftlichen Meldung versicherungspflichtig gewesen. Dem Meldesatz vom 9. November 2004 lässt sich wiederum eine Pflichtversicherung für die Zeit ab dem 1. Februar 2003 entnehmen. Mit Meldesatz vom 15. Dezember 2004 meldete die HZK, dass der Kläger bis zum 31. Januar 2003 in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung freiwillig und ab dem 1. Februar 2003 pflichtversichert sei. Der Meldesatz vom 8. Juli 2008 wies die vorherigen Melderegister bis auf den vom 15. Dezember 2004 als fehlerhaft aus.
In dem Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 entrichtete der Kläger selbst keine Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung.
Nach einer Neuberechnung der Rente gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14. November 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar ...