Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB von 50. Diabetes mellitus. viermalige Insulininjektion. Beeinträchtigung der Teilhabe. gravierende Auswirkung. nur ein Lebensbereich. Beruf. Kernbereich. Rettungsassistent
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 für Diabetes mellitus setzt mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis sowie gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus (vgl BSG vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 12).
2. Gravierende Einschränkungen im Bereich der beruflichen Tätigkeit liegen vor, wenn die krankheitsbedingten Einschränkungen bereits den beruflichen Kernbereich und nicht nur punktuelle Einschränkungen bei besonderen beruflichen Belastungen betreffen.
3. Gravierende Auswirkungen der Krankheit in nur einem Lebensbereich (hier im Beruf) genügen unter Berücksichtigung der weiteren Teilbereiche (Planung des Tagesablaufs, Gestaltung der Freizeit, Zubereitung der Mahlzeiten und Mobilität) im Regelfall nicht, um insgesamt eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung annehmen zu können.
Orientierungssatz
Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach SGB IX (SB)
Ein GdB von 50 aufgrund eines Diabetes mellitus erfordert nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbstständiges Anpassen der jeweiligen Insulindosis. Zusätzlich muss es einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen. Sofern sich gravierende Auswirkungen nur in einem Bereich - wie der beruflichen Tätigkeit - feststellen lassen, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob dadurch schon auf eine gravierende Beeinträchtigung insgesamt geschlossen werden kann.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Der 1975 geborene Kläger beantragte erstmals am 25. März 2004 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I. Der Beklagte holte einen Befundschein der Fachärztin für Innere Medizin Dr. B. vom April 2004 ein, die einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I diagnostizierte. In einem beigefügten Arztbrief vom 14. Januar 2014 berichtete Oberärztin Dr. M. (Städtisches Klinikum M.) über eine stationäre Aufnahme des Klägers im Januar 2004. Die Entlassungsmedikation lautete: Novo Rapid, angepasst an BE mit Faktor 2,5/1,1 IE/BE; Korrekturfaktor 2, Protaphan 07.00 Uhr 8 IE, 22.30 Uhr 10 IE. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2004 beim Kläger einen GdB von 40 fest.
Dagegen erhob der Kläger am 23. Juni 2004 Widerspruch und trug vor: Er müsse sich täglich mindestens sechs bis acht Mal Insulin spritzen, um einen optimalen Blutzuckerwert zu erreichen. Die Erkrankung könne zu Spätfolgen führen und beeinträchtige seine derzeitige Tätigkeit als Rettungsassistent. Mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 23. November 2004 wies der Beklage den Widerspruch zurück.
Am 3. Februar 2009 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag beim Beklagten, der einen Befundschein von Dr. B. einholte. Hiernach bestehe ein stabiler Blutzuckerwert, ohne schwerwiegende Hypoglykämien (HbA1c-Werte bewegten sich seit 2007 zwischen 6,1 und 6,4 %). Es bestünden keine Augenschäden, jedoch ein wahrnehmbares Nervenempfinden der Beine bei regelmäßiger Temperatur und Fußpuls. Die Versorgungsärztin Dipl.-Med. R. hielt in Auswertung des Befundes einen GdB von 40 für zutreffend. Die Nervenstörungen seien geringgradig und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, der den Gesamt-GdB nicht erhöhe. Dem folgend lehnte der Beklagte eine Neufeststellung ab (Bescheid vom 16. März 2009). Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 27. März 2009 machte der Kläger, nun anwaltlich vertreten, geltend: Im Vergleich zur Erstfeststellung habe sich seine gesundheitliche Situation verschlechtert. Es bestünden Störungen der Nervenbahnen in den Füßen, Sensibilitätsstörungen und damit zusammenhängende Schmerzen. Auch habe die Insulindosierung erhöht werden müssen. Aktuell sei eine Langzeitdosierung (2 x täglich) und eine Kurzzeitdosierung (sechs bis acht Mal täglich) notwendig. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Der Kläger hat am 29. Juni 2009 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und vorgetragen: Der Gesamt-GdB müsse auf mindestens 50 erhöht werden. Die Insulintherapie erfordere mindestens acht Injektionen am Tag. Mittlerweile hätten sich als Begleitfolgen Taubheitsgefühle sowie Schmerzen in den Beinen entwickelt.
In einem vom SG eingeholten Befundbericht hat Dr. B. im Juli 2011 angegeben: Beim Kläger sei zwischenzeitlich eine Insulinpumpe angepasst worden, die öfters wegen Undichtigkeiten Probleme bereite. Die Umstellu...