Entscheidungsstichwort (Thema)

Hubschwenksitz. Hilfsmittel. Krankenbehandlung. Mittelbarer Behinderungsausgleich. Mobilität. Nahbereich. Krankentransport. Begleitperson. Sozialhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs ua die Erschließung eines körperlichen Freiraums in dem Radius zu gewährleisten, den ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß bewältigt.

2. Soweit im Hinblick auf die Erschließung des körperlichen Freiraums eine darüber hinausgehende Leistungspflicht der GKV in Betracht gezogen wird, setzt dies jedenfalls zusätzliche qualitative Momente voraus (BSG vom 16. September 2004 - B 3 KR 19/03 R).

3. Kommt danach die Ausstattung mit einem Hubschwenksitz als PKW-Einstiegshilfe in Betracht, ist als weitere Voraussetzung zu prüfen, ob der Versicherte das Hilfsmittel auch in Anbetracht bereits zur Verfügung stehen-der anderweitiger Hilfsmittel tatsächlich für die Fahrten benötigt.

4. Die Ausstattung mit einem Hubschwenksitz kann in Betracht kommen, wenn dadurch mit hinreichender Sicherheit Aufwendungen der Krankenkasse für Fahrkosten erheblich verringert werden (hier: Anspruch verneint).

5. Über Ansprüche aus dem SGB XII (Eingliederungshilfe etc) war nicht zu entscheiden.

 

Normenkette

SGB V § 33 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 14 Abs. 2

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 9. Mai 2007 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Hubschwenksitz einschließlich der Montage des Sitzes in den Pkw der Eltern.

Die am … 1985 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer Spina bifida in Form einer Meningomyelocele mit Lähmungsniveau ab TH 10 und einem Hydrocephalus und kann weder stehen noch gehen. Sie ist daher auf den ständigen Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen und erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II. Am 1. Dezember 2005 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für den Einbau eines Hubschwenksitzes in den Pkw der Familie. Auf Grund ihres Körpergewichtes könne ihre Mutter sie nicht mehr in das Auto heben. Sie fügte einen Kostenvoranschlag der R. GmbH vom 28. November 2005 bei, nach welchem die begehrten Leistungen zu einem Preis von insgesamt 4.906,80 € angeboten wurden.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für einen Pkw-Schwenksitz ab, da die Nutzung eines Pkws zur Vergrößerung des persönlichen Freiraums nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern in den Bereich der Eigenverantwortung falle. Außerdem habe dem Antrag nicht die erforderliche ärztliche Verordnung beigelegen.

Am 23. Dezember 2005 reichte die Klägerin eine ärztliche Verordnung vom 19. Dezember 2005 für einen Pkw-Hubschwenksitz, ausgestellt von der Gemeinschaftspraxis W., nach und legte gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten Widerspruch ein. Sie verwies insbesondere auf ein Urteil des Bundessozialgerichts, nach welchem ein Schwerstpflegebedürftiger Anspruch auf einen schwenkbaren Autositz zum Ausgleich der Behinderung habe. Ihre Mutter sei nicht in der Lage, sie aus dem Rollstuhl in das Auto zu setzen und der Vater komme nur zwei- bis dreimal im Monat von seiner auswärtigen Arbeitsstelle nach Hause.

Die Beklagte führte mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 aus, der dem Bundessozialgericht zur Entscheidung vorliegende Sachverhalt lasse sich nicht mit dem Sachverhalt der Klägerin vergleichen, weil die dortige Antragstellerin zur Durchführung ärztlicher Behandlung und lebensnotwendiger Therapiemaßnahmen zwingend auf die Transportmöglichkeit mit dem Pkw unter Zuhilfenahme des Schwenksitzes angewiesen gewesen sei. Das Bundessozialgericht habe am gleichen Tag in einem anderen Fall eine Klage auf Versorgung mit einem Pkw-Schwenksitz abgewiesen.

Die Klägerin teilte daraufhin mit, der Hubschwenksitz werde benötigt, um die Hausärztin Dipl. Med. W. in J., die Zahnärztin Dr. J. in A., fünf- bis sechsmal jährlich den Kieferorthopäden Dr. B. in W. sowie drei- bis viermal jährlich das Sozialpädiatrische Zentrum in B. und einmal jährlich den Augenarzt im V.-Klinikum in B. aufzusuchen. Bei Komplikationen gebe es zusätzliche Termine. Außerdem habe die Klägerin im Mai 2006 einen Termin im Schlaflabor im St. H.-Krankenhaus in B. sowie einen Termin in der Hörklinik ebenfalls in B. . Sich daraus ergebende Folgetermine seien noch nicht abschätzbar. Nach einem Arztbesuch müsse die Klägerin in die Werkstatt für behinderte Menschen gefahren werden, da ein gesonderter Transport durch das Arbeitsamt in diesem Fall nicht möglich sei. Dies sei auch am 1. März 2006 nach einem Besuch des MDK zur Wiederholungsbegutachtung nötig gewesen. Zudem habe es Termine beim Arbeitsamt gegeben. Da die Klägerin nicht lange alleine bleiben könne und wolle, begleite sie ihre Mutter auch zum Einkaufen oder zu sonstigen Erledigungen. Eine Betreuun...

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