Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Ermessensentscheidung bei Anwendung von ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften. Einstiegsgehalt. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Eingliederungsvereinbarung
Orientierungssatz
1. Die Gewährung von Einstiegsgeld nach § 16 Abs. 1 SGB 2 setzt eine Ermessensentscheidung des Grundsicherungsträgers voraus. Dieses kann dem arbeitslosen Erwerbsfähigen gewährt werden, wenn es zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist.
2. Hatte der Antragsteller bereits beim Einstellungsgespräch, das vor Antragstellung stattfand, die Arbeitsaufnahme mit dem Arbeitgeber vereinbart, so lässt dies nicht zwingend darauf schließen, dass er zur Arbeitsaufnahme unabhängig von einer Förderung entschlossen war.
3. Die Entscheidung des Grundsicherungsträgers genügt dann nicht den Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn sie sich ausschließlich auf verwaltungsinterne Vorgaben stützt. Ermessenslenkende Weisungen haben nur verwaltungsinterne Wirkung und vermitteln keine Verbindlichkeit für die Auslegung von Normen nach außen im Verhältnis zum Bürger.
4. Nur dann, wenn bei Anwendung der Weisung Raum für eine abweichende Einzelfallentscheidung besteht, kann der Leistungsträger das Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausüben. Dieser hat unabhängig von den Vorgaben der Weisung in jedem Einzelfall die für die Ermessensbetätigung bedeutsamen Umstände zu prüfen. Anderenfalls liegt Ermessensfehlgebrauch vor, der die getroffene Entscheidung rechtswidrig macht.
Normenkette
SGB II § 16b Abs. 1; SGB I § 39 Abs. 1 S. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Dezember 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2010 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Einstiegsgeld vom 1. April 2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Einstiegsgeld.
Der 1971 geborene Kläger befand sich bis April 2010 im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt erhielt er monatliche Gesamtleistungen von 646,96 EUR.
Am 1. April 2010 stellte er bei dem Beklagten mündlich einen Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld. Ihm wurde ein Antragsformular ausgehändigt und er wurde gebeten, dieses ausgefüllt und mit einer Kopie des Arbeitsvertrages sowie einer Einkommensbescheinigung wieder bei dem Beklagten einzureichen.
Am 6. April 2010 nahm der Kläger eine zunächst bis zum 30. November 2010 befristete Tätigkeit als Baumaschinenführer bei der Firma Ö.-B. GmbH in S.-B. auf. Nach dem Arbeitsvertrag vom 6. April 2010 betrug die wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden und die Bruttovergütung 8,79 EUR pro Stunde.
Am 11. Mai 2010 gingen bei dem Beklagten der ausgefüllte Antrag auf Einstiegsgeld, eine Kopie des Arbeitsvertrages und die vom Arbeitgeber ausgefüllte Einkommensbescheinigung für den Monat April 2010 ein. Danach betrug das Bruttoarbeitsentgelt für den Zeitraum vom 6. bis zum 30. April 2010 1.388,82 EUR. Ein Auszahlungsbetrag (netto) in Höhe von 976,71 EUR war am 15. des Folgemonats fällig.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Einstiegsgeld ab: In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens und nach Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen sei eine Förderung nicht möglich.
Dagegen legte der Kläger am 26. Mai 2010 Widerspruch ein: Er erfülle die Fördervoraussetzungen. Auch sei sein SGB II-Weiterbewilligungsantrag bereits wegen Wegfalls der Hilfebedürftigkeit abgelehnt worden. Es wäre wünschenswert, wenn die in der Eingliederungsvereinbarung in Aussicht gestellten Fördermöglichkeiten vom Beklagten auch realisiert würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Einstiegsgeld könne nach § 16b Abs. 1 SGB II erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. Das Einstiegsgeld diene nicht dazu, den Lebensunterhalt zu sichern, sondern solle einen Anreiz zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung darstellen. Der Beklagte verfolge das Ziel, mit den nur im eingeschränkten Umfang zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zunächst die tatsächlich Hilfebedürftigen bei der Aufnahme einer Beschäftigung finanziell zu unterstützen. Er habe ermessenslenkende Weisungen erarbeitet, um eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen. Danach dürfe u.a. durch die Gewährung von Einstiegsgeld keine Besserstellung der Antragsteller mit ähnlich bzw. gleich entlohnten Arbeitsnehmern verbunden sein. Es seien der arb...