Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchsverfahren gegen vorläufige Entscheidung. Unzulässigkeit eines Widerspruchs gegen ersetzenden endgültigen Verwaltungsakt während des Vorverfahrens. Einbeziehung nach § 86 SGG. identischer Streitgegenstand

 

Leitsatz (amtlich)

§ 86 SGG ist trotz Abweichungen im Wortlaut genauso wie § 96 SGG auszulegen. Hat der Leistungsberechtigter gegen einen vorläufigen Bewilligungsbescheid Widerspruch eingelegt, wird ein nachfolgender Bescheid, der die Leistung für denselben Bewilligungsabschnitt endgültig festsetzt und überzahlte Beträge zurückfordert, zum Gegenstand dieses Verwaltungsverfahrens. Ein gesonderter Widerspruch gegen den endgültigen Bescheid ist unzulässig.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit eines Widerspruchs in einem Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Der verheiratete Kläger stand gemeinsam mit seiner Ehefrau als Bedarfsgemeinschaft im Jahr 2008 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 bezifferte die ARGE SGB II Landkreis W. für den Monat Januar 2008 die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) auf insgesamt 313,05 EUR (Kläger: 156,53 EUR; P. K.: 156,52 EUR). Für die folgenden Monate vom 1. Februar bis 31. Mai 2008 bewilligte der Beklagte vorläufig einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 269,24 EUR für KdU (Kläger: 134,62 EUR; Ehefrau: 134,62 EUR). Dieser Bescheid enthielt den einleitenden Hinweis, dass der Anspruch auf Leistungen wegen der ungeklärten Frage der Lohnsteuerklassen noch nicht abschließend gewertet werden könne. Sollte nach abschließender Prüfung kein oder nur ein geringerer Leistungsanspruch bestehen, bleibe eine Erstattung der erhaltenen Leistungen vorbehalten (§ 328 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III).

Mit Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 erhöhte der Beklagte die zuvor bereits bewilligten Leistungsbeträge für den genannten Zeitraum wegen eines befristeten Zuschlages nach § 24 SGB II um 7,00 EUR bzw. 4,00 EUR. Auch dieser Bescheid enthielt entsprechende Belehrungen zur Vorläufigkeit der Bewilligung. Hiergegen hat der Kläger am 7. März 2008 Widerspruch eingelegt.

Mit Bescheid vom 20. Juni 2008 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Mai 2008 die Leistungen endgültig und gewährte für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 29. Februar 2008 KdU für beide Personen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 170,62 EUR sowie für die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2008 in Höhe von 167,62 EUR monatlich. Hiernach ergebe sich für den Bewilligungsabschnitt eine Überzahlung in Höhe von 571,91 EUR. In einem Erstattungsbescheid vom selben Tage verlangte der Beklagte vom Kläger insgesamt 571,91 EUR zurück. Der Erstattungsbescheid nahm Bezug auf den Bescheid vom 20. Juni 2008 und enthielt den Hinweis "Dieser Bescheid wird gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz Gegenstand des Widerspruchsverfahrens."

Hiergegen legte der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 8. Juli 2008 Widerspruch ein und machte geltend: Die Einkommenssteuerrückerstattung sei nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen. Außerdem seien die KdU vom Beklagten nicht zutreffend berechnet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus: Gegen den vorläufigen Änderungsbescheid vom 28. Februar 2008 sei bereits am 7. März 2008 Widerspruch erhoben worden. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 werde gemäß § 86 Sozialgesetzbuch (SGG) Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens. Dementsprechend müsse der eingelegte Widerspruch als unzulässig verworfen werden, da eine sachliche Prüfung im Widerspruchsverfahren des Änderungsbescheides vom 28. Februar 2008 erfolgen werde.

Hiergegen hat der Kläger am 17. Dezember 2008 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben, die Aufhebung der genannten Bescheide begehrt sowie zur Begründung ausgeführt: Der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20. Juni 2008 bestehe rechtlich aus zwei Regelungstatbeständen. Lediglich der Erstattungstenor sei mit Widerspruchsschreiben vom 7. Juli 2008 angegriffen worden. Durch diesen isolierten Angriff auf den Erstattungsausspruch können entgegen der Auffassung des Beklagten § 86 SGG keine Anwendung finden. Das Rubrum der Klageschrift enthielt neben dem Kläger auch die Ehefrau des Klägers als Beteiligte.

Der Beklagte hat seine bisherige Rechtsauffassung bekräftigt und auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Das Sozialgericht Dessau-Roßlau habe im mittlerweile rechtshängigen Verfahren S 6 AS 581/09 die Rechtmäßigkeit des hier streitgegenständlichen Erstattungsbescheides zu prüfen.

In der nicht-öffentlichen Sitzung vom 9. August 2011 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge