Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Gesamt-GdB von 50. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Psyche. somatoforme Schmerzstörung. keine doppelte Berücksichtigung im Funktionssystem Rumpf

 

Leitsatz (amtlich)

Sofern im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche die aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung bestehenden Bewegungseinschränkungen berücksichtigt werden, können diese nicht noch einmal im Funktionssystem Rumpf bewertet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung derselben Teilhabebeeinträchtigungen in mehreren Funktionssystemen ist unzulässig.

 

Orientierungssatz

Zur GdB-Feststellung im Hinblick auf weitere Gesundheitsstörungen nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 VersMedV), insbesondere nach Teil B Nr 9.3 (Hypertonie) und Teil B Nr 5.3 (Tinnitus).

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Der am ... 1952 geborene Kläger beantragte am 2. April 2008 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen. Nach medizinischer Sachaufklärung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2008 einen GdB von 30 fest (jeweils Einzel-GdB von 20 für chronisches Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie sowie Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Kalksalzminderung). Am 13. März 2009 beantragte der Kläger die Neufeststellung und das Merkzeichen G. Der Beklagte lehnte den Antrag zunächst ab. Nach medizinischen Ermittlungen im Widerspruchsverfahren schlug der ärztliche Gutachter des Beklagten vor, das chronische Schmerzsyndrom mit einhergehenden vegetativen und funktionellen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Damit seien die Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule eng verbunden, die einen GdB von 20 bedingten. Da das Schmerzsyndrom zu psychischen Einschränkungen führe, seien die geltend gemachten Depressionen und Ohrgeräusche mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Gesundheitsstörungen überlagerten sich gegenseitig, sodass ein Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen werden könne. Dem folgend stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2010 ab 13. März 2009 einen GdB von 40 fest. Die Feststellung des Merkzeichens G lehnte er ab, weil die Behinderungen nicht wenigstens einen GdB von 50 bedingten.

Am 26. Mai 2011 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag und verwies erneut auf seine Wirbelsäulenerkrankung, das chronische Schmerzsyndrom sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Außerdem beantragte er erneut das Merkzeichen G. Der Beklagte holte einen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin Q. vom 1. September 2011 ein, die folgende Diagnosen stellte: chronisches Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie, Polyarthralgie, Osteoporose mit alten Brustwirbelkörper (BWK)-Frakturen im Bereich 6 und 7, degeneratives Halswirbelsäulen (HWS)- und Brustwirbelsäulen (BWS)- Syndrom mit HWS-Steilstellung und BWS-Kyphose. Gehstrecken bis 200 Meter könne der Kläger bewältigen, doch könne er nicht schmerzfrei gehen. Hilfsmittel benutze er dabei keine. In Anlage übersandte die Ärztin weitere Unterlagen. Die Klinik für Rheumatologie und Orthopädie V.-G. hatte nach dem stationären Aufenthalt vom 13. bis 21. April 2011 folgenden Diagnosen gestellt: chronisches Schmerzsyndrom, Polyarthrose, manifeste Osteoporose, arterielle Hypertonie, Zustand nach Thrombose linker Unterschenkel. Der Kläger habe zunehmende Schmerzen am ganzen Körper geschildert. Es bestehe eine vegetative Symptomatik durch häufige Kopfschmerzen, Tinnitus und Schlafstörungen. Bei Befunderhebung sei der Kläger kardiopulmonal kompensiert gewesen. Die Gehfähigkeit sei schmerzbedingt auf 200 bis 300 Meter eingeschränkt gewesen. Darüber hinaus wurden u.a. folgende Befunde erhoben: vollständiger Faustschluss; Fingerbodenabstand (FBA) 45 cm; Zeichen nach Schober 10/12 cm; schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, der Lendenwirbelsäule (LWS), beider Schultern und beider Hüftgelenke; übrige Gelenke frei beweglich. Während des stationären Aufenthalts habe eine Schmerzreduktion erreicht werden können.

Nach Beteiligung seiner ärztlichen Gutachterin Dr. R. vom 27. Oktober 2011, die bei dem Kläger keine Veränderungen im Gesundheitszustand feststellen konnte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. November 2011 die Neufeststellung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens G ab.

Dagegen legte der Kläger am 14. November 2011 Widerspruch ein und verwies insbesondere auf seine starken Schmerzen und dadurch bedingte Ein- und Durchschlafstörungen. Der Beklagte holte einen Befundschein der Ärztin für Orthopädie Dr. L. vom 19. März 2012 ein, die über die letztmalige Behandlung des Klägers am 12. September 2011 berichtete und folgende Diagnosen stellte: chronisches Schmerzsyndrom, chronisch rezidivierende HWS-Beschwerden bei degenerativen Ver...

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