Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragszahnärztliche Versorgung. Schiedsspruch zur vertragszahnärztlichen Vergütung (hier: im Ersatzkassenbereich für das Jahr 2017). Unterschreitung des Gestaltungsspielraums des Schiedsamtes. unzulässige Beschränkung der Prüfung auf die Erforderlichkeit einer Überschreitung der Veränderungsrate
Leitsatz (amtlich)
Das Schiedsamt unterschreitet seinen Gestaltungsspielraum, wenn es bei seiner Entscheidung die Kriterien des § 85 Abs 3 S 1 SGB V nur daraufhin prüft, ob Gesichtspunkte für eine Steigerung über einen als Basis anzusetzenden Wert in voller Höhe der nach § 71 Abs 3 S 1 SGB V maßgeblichen Veränderungsrate hinaus feststellbar sind.
Tenor
Der Schiedsspruch vom 14. Juni 2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über die vertragszahnärztliche Gesamtvergütung im Ersatzkassenbereich 2017 zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auf 451.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Umstritten ist der Schiedsspruch des Beklagten vom 14. Juni 2018 zur vertragszahnärztlichen Vergütung im Ersatzkassenbereich für das Jahr 2017.
Die Klägerinnen und die Beigeladene verhandelten am 30. November 2017 und 14. Februar 2018 zur Gesamtvergütung 2017. Nachdem keine Einigung erzielt werden konnte, erklärten sie das Scheitern der Verhandlungen und die Beigeladene rief vereinbarungsgemäß unter dem 5. April 2018 den Beklagten an. Sie beantragte Steigerungen der Punktwerte für die BEMA-Teile 1-4 (Individualprophylaxe und Früherkennungsuntersuchungen - IP/FU, konservierend-chirurgische Leistungen, Parodontalleistungen sowie Kieferbruchbehandlungen - KCH/PAR/KBR und kieferorthopädische Leistungen - KFO) um 5,47 % (IP/FU auf 1,1200 €), 4,37 % (KCH/PAR/KBR auf 1,0200 €) bzw. 8,96 % (KFO auf 0,9100 €). Zugleich seien die kassenindividuellen Ausgabenobergrenzen je Versichertem um 2,5 % zu erhöhen. Die Steigerungen entsprächen den mit der T. (als Mitglied des vdek) für 2017 separat getroffenen Regelungen. Bestandteil der Erhöhungen sei zunächst die vom Bundesministerium für Gesundheit nach § 71 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für das Jahr 2017 festgesetzte Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsummensteigerungsrate - GLS) von 2,5 %. Da zahnärztliche Leistungen nur 6 % der Gesamtleistungsausgaben ausmachten, seien die Mehraufwendungen insgesamt unbedeutend. Eine Überschreitung der GLS sei auch zur Angleichung der Vergütungsunterschiede Ost und West nötig. Obwohl sich die Betriebskosten im Wesentlichen angeglichen hätten, sei der Einnahmenüberschuss in den alten Bundesländern immer noch um 32 % höher. Zudem hätten sich die zahnärztlichen Betriebskosten in Sachsen-Anhalt 2017 gegenüber dem Vorjahr durchschnittlich um 4,93 % erhöht.
Dem sind die Klägerinnen mit Schreiben vom 14. Mai 2018 entgegengetreten und beantragten ihrerseits eine Steigerung der bezeichneten BEMA-Leistungsbereiche um 2,0 % (IP/FU auf 1,0831 €, KCH/PAR/KBR auf 0,9773 € sowie KFO auf 0,8519 €). Die GLS stelle eine obere Grenze dar. Nach den Angaben des Statistischen Landesamtes seien die Arbeitnehmerentgelte und Bruttolöhne von 2014 zu 2015 um 2,70 % gestiegen. Das gegenüber zahnmedizinischen Fachangestellten deutlich höhere Gehalt angestellter Zahnärzte verzerre die tatsächliche Personalkostenentwicklung. Abgesehen davon steigerten diese den Umsatz, weshalb ihre Gehälter keine Kosten im eigentlichen Sinne seien. Zudem weise Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Bund um 18,7 % niedrigere Personalkosten auf. Für die Materialkosten ergebe sich nach den Daten des Statistischen Landesamtes eine Veränderung um 1,4 %, für Abschreibungen um 1,5 % und für die übrigen Sachkosten ebenfalls um 1,4 %. Die Raumkosten seien von 2015 zu 2016 um 1,0 % gestiegen. Aus dem KZBV-Jahrbuch sei für 2014 bis 2016 eine durchschnittliche Zinsentwicklung von minus 8,9 % ableitbar. Die Steigerung des Gewinns einer Zahnarztpraxis sei allein Sache des Inhabers. Die Kosten für anfallende Arbeiten von Fremdlaboren würden direkt an die Patienten weitergegeben. Im Ergebnis der Kostenparametergewichtung resultiere eine Steigerung um 2,0 %. Die kassenspezifischen Ausgabenobergrenzen des Jahres 2016 seien beizubehalten, da sie nur zwischen 80,9 % und 91‚82 % ausgelastet worden seien. Die Grundlage, Zielrichtung und Validität der von der Beigeladenen u.a. herangezogenen DATEV-Branchenauswertung, an der nur 13,2 % der Zahnärzte teilgenommen hätten, sei nicht ansatzweise nachvollziehbar (Hinweis auf Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Juni 2017 - L 11 KA 50/16 KL - juris). Der Grundsatz „gleiches Geld für gleiche Leistung" sei kein Vergütungskriterium des § 85 Abs. 3 SGB V (in der bis zum 10. Mai 2019 gültigen und hier maßgeblichen Fassung - a.F.) und mit der Punktwertnivellierung im Jahr 2013 entsprechend § 85 Abs. 2a) Satz 4 und Abs. 3g) Sätze 1 und 2 SGB V a.F. nur einmal zu realisieren gewes...