Entscheidungsstichwort (Thema)
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS). Rechtsmittel gegen ein Nicht- oder Scheinurteil
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 25. Juni 2021 wird aufgehoben.
In beiden Rechtszügen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Antragstellerin) wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau.
Die Antragstellerin und ihr Ehemann beziehen als Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) ergänzende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für die Monate Februar und April 2020 wurden der Antragstellerin vom Beklagten Leistungen in Höhe von 261,22 € und 200,54 € bewilligt (Änderungsbescheide vom 16.03. und 01.04.2020). Die Eheleute bewohnen gemeinsam ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von ca. 100 m² in G., einem Stadtteil von J.. Das Haus ist mit einer Öl-Zentralheizung ausgestattet, die auch Warmwasser bereitet. Der Ehemann der Klägerin bezog eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Am 25.02.2020 richtete der Beklagte ein als „Aufforderung zur Mitwirkung“ betiteltes Schreiben mit folgendem Wortlaut an die Antragstellerin:
„Sehr geehrte Frau K.,
Sie haben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt. Es ist zu überprüfen, ob und inwieweit für Sie ein Anspruch auf Leistungen besteht beziehungsweise bestanden hat.
Folgende Unterlagen beziehungsweise Angaben werden hierzu noch benötigt: Gesundheitsfragebogen für ihren Ehemann F. K. mit Schweigepflichtentbindungen für die Einschaltung des ärztlichen Dienstes.
Bitte reichen Sie diese bis zum 24.03.2020 ein.
Bitte beachten Sie: Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I).
Haben Sie bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66,67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten.
Mit freundlichen Grüßen“
Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit Widerspruchsschreiben vom 18. März 2020. Zur Begründung führte sie aus, ihr Ehemann sei kein Bezieher von SGB II-Leistungen. Er müsse keinen Gesundheitsfragebogen ausfüllen, denn der Beklagte sei ihm gegenüber nicht weisungsbefugt. Die im Schreiben angedrohten Sanktionen bei Nichtbefolgen der Aufforderung verstießen gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019. Das Verhalten des Beklagten verstoße gegen das Schikaneverbot nach § 226 BGB und sei strafrechtlich als Nötigung, Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung zu bewerten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2020 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Die Aufforderung zur Mitwirkung sei kein Verwaltungsakt, der mit dem Widerspruch angegriffen werden könne. Die Aufforderung enthalte keine Regelung und greife nicht in Rechtspositionen der Antragstellerin ein. Sie sei lediglich aufgefordert worden, weitere Unterlagen zur Prüfung des Leistungsanspruchs einzureichen.
Am 22.04.2020 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen (isolierten) Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt und ausgeführt: Die Rechtsverfolgung habe hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei nicht mutwillig. Der Bescheid vom 25.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2020 sei aufzuheben. Er sei rechtswidrig und falsch begründet.
Mit Schreiben vom 26.05.2090 hat die Antragstellerin beim SG in Kopie ein vom Beklagten an ihren Ehemann gerichtetes Aufforderungsschreiben vom 16.04.2020, den dagegen eingelegten Widerspruch und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 18.05.2020 vorgelegt und ausgeführt, die Anlagen seien dem bereits gestellten PKH-Antrag vom 22.04.2020 „anzugliedern“. Der Widerspruchsbescheid sei rechtsfehlerhaft. Da ihrem Ehemann Sanktionen angedroht worden seien, sei sie berechtigt, dagegen Widerspruch einzulegen.
Auf Sachstandsanfragen der Antragstellerin vom 28.09.2020 und 17.05.2021 hat das SG mitgeteilt, das Verfahren sei zur Terminierung vorgesehen. Ein konkreter Termin könne aufgrund der Vielzahl älterer und damit vorrangig zu bearbeitenden Verfahren derzeit nicht in Aussicht gestellt werden. Zudem bestehe die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG (SGG), da der Sachverhalt geklärt sei und die Sache weder rechtliche noch tatsächliche Schwierigkeiten aufweise. Dazu könne sie sich innerhalb einer Frist von zwei Wochen äußern.
Im Schreiben vom 02.06.2021 hat die Antragstellerin ausgeführt, sie habe kein Verständnis für die Belastungssituation des SG. Sie verstehe nicht, weshalb über ihren PKH-Antrag nicht entschieden werde.
Mit Gerichtsbescheid vom 25....