Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit. Vermögensberücksichtigung. Hausgrundstück. Schonvermögen. Zufluss einer Ausgleichszahlung für übertragenen Miteigentumsanteil. keine Zuordnung zum Einkommen. Geldanlage in unkündbarem Sparbrief. Verwertbarkeit. Miteigentumsanteil. Vermögensumschichtung. Altersvorsorge. Vertraglich vereinbarter Verwertungsausschluss. Mitteilungspflicht. Grobe Fahrlässigkeit. Erstattung
Leitsatz (amtlich)
1. Erhält der geschiedene Ehegatte zum Ausgleich der Übertragung seines Miteigentumsanteils an dem von ihm nicht mehr bewohnten Eigenheim einen Geldbetrag, ist dieser Vermögen iS von § 12 Abs 1 SGB 2. Der Zufluss führt nicht zu einer Umwandlung in Einkommen. Der Umstand, dass das früher selbst bewohnte Eigenheim angemessen iS von § 12 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB 2 war, führt nicht zum Vermögensschutz.
2. Auch wenn die Zahlungsverpflichtung des Geldbetrags bereits vor dem ersten SGB 2-Leistungsantrag notariell beurkundet war, ist eine folgende vorbehaltlose Leistungsbewilligung dann nicht anfänglich rechtswidrig, wenn der Zahlungszeitpunkt ungewiss war.
3. Die Anrechnung des Vermögens auf den Hilfebedarf kann erst ab dem Zeitpunkt des Zuflusses erfolgen. Sie ist nicht rückwirkend für den Ersten des Zuflussmonats zulässig. Denn insoweit fehlt es - anders als beim Zufluss von Einkommen - an einer abweichenden gesetzlichen Regelung über einen normativen Zuflusszeitpunkt.
4. Wird ein Kontoguthaben in einen unkündbaren Sparbrief angelegt, hebt dies seine Verwertbarkeit iS von § 12 Abs 1 SGB 2 nicht auf. Denn die zukünftige Verfügbarkeit trifft sicher ein, da sie vom Eintritt eines bestimmten Datums abhängt.
5. Die fehlende Verfügbarkeit des Vermögenswerts aufgrund der unkündbaren Anlage in einen Sparbrief ist für Fälle der Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit (§ 48 SGB 10) nicht von Bedeutung. Etwas anderes gilt, soweit um die aktuelle Leistungsgewährung gestritten wird und wegen der erfolgten Anlageform keine bereiten Mittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts vorhanden sind.
6. Vermögen ist anders als zu berücksichtigendes Einkommen nicht über einen Verteilzeitraum fiktiv auf den monatlichen Hilfebedarf anzurechnen. Vielmehr ist es dem Leistungsanspruch bis zu seinem tatsächlichen Verbrauch entgegenzuhalten. Soweit auf einem Sparkonto jederzeit verfügbares Vermögen (über dem Freibetrag) vorhanden ist, steht es einer Hilfebedürftigkeit und daher einer Leistungsbewilligung entgegen.
Normenkette
SGB II § 12 Abs. 1-2, §§ 11, 9 Abs. 4, § 23 Abs. 5, § 40 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2, Abs. 2 S. 2; Alg-II-VO § 2 Abs. 3; SGB I § 60 Abs. 1 Nr. 2; SGB III § 330 Abs. 2; SGB X §§ 45, 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2-3, § 50 Abs. 1
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Juli 2009 und der Bescheid des Beklagten vom 30. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2007 werden aufgehoben, soweit die Leistungsbewilligung in Höhe eines Betrags von mehr als 4.337,55 EUR aufgehoben und zur Erstattung gestellt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von bewilligten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2006 sowie die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 13. September 2006.
Die am ... 1955 geborene Klägerin war nach der Scheidung ihrer Ehe im Jahr 2002 aus dem im gemeinsamen Eigentum stehenden Einfamilienhaus ausgezogen. In einem gerichtlichen Vergleich vor dem Amtsgericht O. vom 18. August 2004 hatte sich der geschiedene Mann der Klägerin verpflichtet, ihr Zug um Zug gegen Übertragung des hälftigen Anteils an dem Grundstück einen Betrag i.H.v. 27.000 EUR zu zahlen.
Sie bewohnte seit dem 1. August 2002 eine 50 m² große Mietwohnung, für die im streitigen Zeitraum eine monatliche Gesamtmiete von 367,50 EUR aufzubringen war (Kaltmiete 237,50 EUR, Heizkosten 60 EUR, Warmwasserversorgung 10 EUR, Betriebskosten 40 EUR, Vergütung für eine Einbauküche 20 EUR).
Im Rahmen des ersten Antrags auf Leistungen nach dem SGB II vom 29. September 2004 hatte die Klägerin das gemeinsame Eigenheim als Vermögen angegeben. Eine Klärung über einen eventuellen Hausverkauf mit dem Ex-Mann sei jedoch nicht abzusehen. Sie war darauf hingewiesen worden, dass beim Verkauf des Hauses eine Mitteilung an den Beklagten zu erfolgen habe, da sie dann vermögend wäre.
Die Klägerin bezog Leistungen nach dem SGB II ab Januar 2005. Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 20. Juni 2005 und 21. November 2005 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 und 1. Januar bis 30. Juni 2006 monatlich 688,50 EUR. Davon entfielen auf die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) jeweils 357,50 EUR.
Am 23. Dezember 2005 überwies der frühere Ehemann der...