Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsgrundlage für die Korrektur eines Bescheides über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei zu berücksichtigendem Arbeitslosgeldbezug. atypischer Fall iS des § 48 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Allein ein sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebender zukünftiger Anspruch auf Arbeitslosengeld begründet keine anfängliche Rechtswidrigkeit des Bescheides über die Bewilligung der Rente ab demselben Zeitpunkt. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Rentenbewilligung wegen Hinzuverdienstes ist nicht § 45 Abs 1 SGB X, sondern § 48 Abs 1 S 2 SGB X.
2. Ob ein atypischer Fall vorliegt, in dem eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, ist nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X zu bestimmen und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
3. Hat der Versicherte im Verwaltungsverfahren keine Gesichtspunkte für einen atypischen Fall vorgetragen und die Behörde im Widerspruchsbescheid festgestellt, Ermessen sei nicht auszuüben, da ein atypischer Fall nicht vorliege, und ergeben sich solche nicht aus der Akte, ist das Gericht im Klageverfahren nicht gehalten, einem entsprechenden Klagevorbringen im Wege der Amtsermittlung nachzugehen. Denn das Ermessen muss spätestens im Widerspruchsbescheid ausgeübt werden.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 11.2.1988 - 7 RAr 55/86 = SozR 1300 § 48 Nr 44, vom 29.11.1989 - 7 RAr 76/88 = SozR 4100 § 138 Nr 27 sowie vom 26.8.1994 - 13 RJ 29/93.
2. Zum Leitsatz 3 vgl BSG vom 22.2.1995 - 4 RA 44/94 = BSGE 76, 16 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3, vom 25.1.1994 - 4 RA 16/92 = SozR 3-1300 § 50 Nr 16 sowie LSG Darmstadt vom 17.1.2012 - L 2 R 524/10 = juris RdNr 55.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 4. Dezember 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. März 2011 bis zum 29. Februar 2012 und die Erstattung von 3.804,32 EUR streitig.
Der am ... 1955 geborene Kläger ist gelernter Maurer und war bis zuletzt in diesem Beruf tätig. Er war ab 31. August 2009 arbeitsunfähig und bezog bis zum 11. Oktober 2009 Arbeitsentgelt, vom 12. bis zum 21. Oktober 2009 Übergangsgeld und anschließend bis zum 28. Februar 2011 Krankengeld.
Der Kläger beantragte am 7. Januar 2010 bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Er hatte die Agentur für Arbeit D. bei der Beantragung von Arbeitslosengeld am 28. Dezember 2010 von der Rentenantragstellung in Kenntnis gesetzt. Mit Schreiben vom selben Tag hatte die Agentur für Arbeit bei der Beklagten vorsorglich einen Erstattungsanspruch für die Zeit ab 1. März 2011 angemeldet. Ferner hatte sie vorläufig mit Bescheid vom 29. Dezember 2010 Arbeitslosengeld vom 1. März 2011 bis zum 29. Februar 2012 i.H.v. 18,83 EUR/Tag nach einem täglichen Bemessungsentgelt i.H.v. 42 EUR bewilligt. Nach Eingang der Arbeitsbescheinigung am 31. Januar 2011 bewilligte sie mit Bescheid vom 3. Februar 2011 endgültig ab 1. März 2011 Arbeitslosengeld i.H.v. 21,07 EUR/Tag nach einem täglichen Bemessungsentgelt i.H.v. 48,54 EUR.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2011 bewilligte die Beklagte in Ausführung des Teilabhilfebescheides vom 19. Mai 2010 dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. September 2009. Die laufende monatliche Zahlung ab 1. März 2011 betrug 314,94 EUR. Auf Seite 4 des Rentenbescheides war unter Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten angegeben: "Ihre Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird nicht oder in verminderter Höhe gezahlt, sofern durch Einkommen die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Die Hinzuverdienstgrenzen finden Sie in der Anlage 19. Sie müssen unverzüglich mitteilen, wenn Ihr Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze liegt." Ferner wurde mitgeteilt, dass Einkommen u.a. auch Arbeitslosengeld sei. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass für die Höhe des Hinzuverdienstes nicht die Höhe der Sozialleistung maßgebend sei. Es komme vielmehr darauf an, wie hoch das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen sei, das der Sozialleistung zu Grunde liege. Auf Seite 2 der Anlage 1 wurde mitgeteilt, dass für September 2009 die Rente nicht gezahlt werde, da der zulässige Hinzuverdienst überschritten werde. Erst ab dem 1. Oktober 2009 ergebe sich eine monatliche Rente i.H.v. 350,51 EUR.
Die Beklagte setzte die Agentur für Arbeit am 10. Februar 2011 über die Rentengewährung in Kenntnis und forderte diese auf, einen ggf. bestehenden Erstattungsanspruch zu beziffern.
Dem Kläger wurden am 31. März 2011 sowohl die Rente i.H.v. 314,94 EUR als auch erstmalig Arbeitslosengeld i.H.v. 632,10 EUR für den Monat März 2011 überwiesen.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2011 wurde die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zum 1. Juli 2011...