Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Kontrolle eines angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheides. Überprüfung der ursprünglichen bestandskräftigen Bewilligung von Arbeitslosengeld II. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Leistungsbewilligung
Leitsatz (amtlich)
Auch bei einer Klage wegen Änderung einer bestandskräftigen Leistungsbewilligung sind grundsätzlich alle den Grund und die Höhe der bereits bewilligten Leistungen betreffenden Berechnungsfaktoren zu prüfen, soweit Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit ersichtlich oder vorgetragen sind (vgl BSG vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, juris RN 28). Insoweit gibt der Senat seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach eine Überprüfung nur stattzufinden hat, wenn Einwände gegen die bestandskräftige Leistungsbewilligung erhoben werden.
Orientierungssatz
Aufgabe von LSG Halle vom 1.3.2012 - L 5 AS 339/09 = NDV-RD 2012, 89 und vom 9.5.2012 - L 5 AS 234/09.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. April 2011 und der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Januar 2009 werden abgeändert, soweit der Beklagte die Leistungsbewilligung in Höhe eines Betrags von mehr als 1.305,28 EUR aufgehoben und diesen Betrag zur Erstattung gestellt hat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung überzahlter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. Januar 2008 i.H.v. 1.326,52 EUR.
Die am ... 1947 geborene Klägerin war mit dem am ... 1940 geborenen und mittlerweile verstorbenen Ehemann verheiratet und bewohnte im streitigen Zeitraum mit diesem eine 58,24 m² große Mietwohnung. Für die Gesamtmiete waren im streitigen Zeitraum 428,18 EUR/Monat zu entrichten (Kaltmiete und Betriebskosten 359,18 EUR/Monat, Fernwärme 49,00 EUR/Monat, Wasser 20 EUR/Monat, daneben noch Strom 44 EUR/Monat). Für eine Kfz-Haftpflichtversicherung war im streitigen Zeitraum ein Betrag von 15,89 EUR/Monat aufzubringen.
Der Ehemann bezog seit 2003 eine Altersrente sowie seit April 2004 von der Verwaltung-Berufsgenossenschaft eine Unfallrente. Im streitigen Zeitraum betrug der Zahlbetrag der Altersrente 709,25 EUR/Monat, der der Unfallrente 160,46 EUR/Monat.
Die Klägerin hatte seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II bezogen. In ihren jeweiligen Anträgen hatte sie lediglich die Altersrente ihres Ehemanns angegeben, nicht jedoch die Unfallrente. Sie hatte einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung beantragt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin R. hatte in dem Attest vom 16. November 2006 einen Hochdruck und eine Zuckerkrankheit genannt. In der ärztlichen Bescheinigung vom 22. Februar 2007 hatte sie für den Diabetes mellitus eine Diabeteskost für erforderlich erachtet. Der Beklagte hatte die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) bereits ab Juli 2005 bestandskräftig auf eine aus seiner Sicht angemessene Grundmiete von 246 EUR/Monat herabgesetzt. In der Verwaltungsakte findet sich keine Kostensenkungsaufforderung.
Nachdem dem Beklagten im Juli 2007 der Bezug der Unfallrente bekannt geworden war, hatte der Ehemann der Klägerin angegeben, diese habe bislang von dieser Rente nichts gewusst. Mit Änderungsbescheiden vom 21. August 2007 hatte der Beklagte eine Neuberechnung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2005 bis September 2007 vorgenommen. Ferner hatte er die Leistungsbewilligungen i.H.v. 5.014,50 EUR bestandskräftig aufgehoben.
In ihrem Weiterzahlungsantrag vom 28. August 2007 gab die Klägerin die beiden Renten ihres Ehemanns an. Der Beklagte erhöhte mit Änderungsbescheid vom 25. September 2007 die Leistungen für Juli bis September 2007 auf 212,69 EUR/Monat. Dabei ging er von einem Gesamtbedarf der Klägerin i.H.v. 544,32 EUR aus, dem er "sonstiges Einkommen" i.H.v. 331,63 EUR gegenüber stellte. Mit Leistungsbescheid ebenfalls vom 25. September 2007 bewilligte er der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2008 544,32 EUR/Monat. Dabei ging er wiederum von einem Gesamtbedarf der Klägerin i.H.v. 544,32 EUR/Monat aus (Regelleistung 312 EUR, Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung 51,13 EUR, anerkannte anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung 181,19 EUR). Eine Einkommensanrechnung nahm er nicht vor.
Unter dem 10. Januar 2008 hörte der Beklagte die Klägerin über die erfolgte Überzahlung und die beabsichtigte Leistungserstattung an. Bei der Weiterbewilligung ab Oktober 2007 sei es versäumt worden, die Anrechnungsbeträge aus den Renten des Ehemanns in die Berechnung einzubeziehen. Die Klägerin hätte erkennen können, dass ihr die Leistungen in dieser Höhe nicht zustanden. Gleichzeitig änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 10. Januar 2008 für Februar und März 2008 auf 212,69 EUR/Monat.
Dazu nahm die Klägerin am 22. Jan...