Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Fusion. Krankenkassen. Haftung. Vorstand. schuldhafte Verletzung. Aufklärungspflicht. culpa in contrahendo. Begrenzung der Schadenshöhe. Mitverschulden
Orientierungssatz
1. Für die Haftung des Vorstands enthält das SGB 4 keine eigenständige Regelung. Deshalb sind für Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane und sonstigen Organmitglieder des Versicherungsträgers unterschiedliche Haftungsgrundlagen heranzuziehen.
2. Hat ein ehemaliger Vorstand einer Krankenkasse aufgrund seiner exklusiven Kenntnisse von den tatsächlichen Vermögensverhältnissen die Selbstverwaltungsorgane der durch Fusion neu entstandenen Krankenkasse über finanzielle Risiken nicht aufgeklärt, begründet dies einen Schadensersatzanspruch aus "culpa in contrahendo".
3. Eine Begrenzung der Schadenshöhe auf entgangene Beitragseinnahmen schließt es aus, weitere Schadenspositionen zu berücksichtigen.
4. Zur Minderung des Schadensersatzanspruches wegen Mitverschuldens seitens der anderen Vorstände.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 10. November 2003 wird aufgehoben, soweit eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von mehr als 51.129,19 € ausgesprochen worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin vier Fünftel und die Beklagte ein Fünftel zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen Vorlage einer unrichtigen Jahresrechnung.
Die 1952 geborene Beklagte wurde von der Klägerin, einer in mehreren Bundesländern tätigen Betriebskrankenkasse, zum 1. Januar 1998 als Regionalleiterin Ost zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 12.000 DM eingestellt. Zuvor war die Beklagte als alleiniger Vorstand der Betriebskrankenkasse L (BKK L) tätig, die mit Wirkung zum 1. Januar 1998 mit der N Vereinigte Betriebskrankenkasse D (nachfolgend N) und weiteren Betriebskrankenkassen zu einer Betriebskrankenkasse, der Klägerin, fusionierte.
Im Rahmen der Fusionsverhandlungen, die im Sommer 1997, vermutlich im Juli/August und zu Beginn noch ohne Kenntnis der Beklagten begonnen hatten, übergaben die Beklagte und Frau H, Abteilungsleiterin Finanzen und Controlling der früheren BKK L, im September 1997 den Vorstandsmitgliedern der N u. a. eine Ausfertigung der am 2. April 1997 erstellten Jahresrechnung 1996 der BKK L sowie das entsprechende uneingeschränkte Prüftestat des von der BKK L beauftragten Landesverbandes der Betriebskrankenkassen Niedersachsen. Dieser hatte am 17. April 1997 bestätigt, dass die Rechnungsführung nach dem Gesamtergebnis der Prüfung den gesetzlichen und satzungsmäßigen Normen entsprechen, die Haushaltsführung, die Grundsätze und haushaltsrechtlichen Vorschriften berücksichtige und die in der Jahresrechnung 1996 ausgewiesenen aktiven und passiven Vermögensbestände und die Berechnung der beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsumme) für den Risikostrukturausgleich lückenlos geprüft worden seien.
Mit Schreiben vom 23. September 1997 bestätigte der Vorstand der N der Beklagten in ihrer Funktion als Vorstand der BKK L für den Fall, dass die Selbstverwaltung in einer Fusion der Betriebskrankenkassen zustimmten, unter anderem den Erhalt der bisherigen Standorte der BKK L, die Übernahme des Personals der BKK L, einen Beitragssatz von 13,2% sowie die Übernahme des Defizits der BKK L. An der Sitzung des Verwaltungsrats der BKK L am 23. Oktober 1997, in der die Fusion zum 1. Januar 1998 beschlossen wurde, nahmen unter anderen die Klägerin sowie der Vorstand der N, Herr Dr. J, teil. Das Sitzungsprotokoll vom 23. Oktober 1997 lautet auszugsweise wie folgt:
"Frau H von der BKK L stellte nochmals klar, dass die Mindereinnahmen und die Kreditaufnahme allein durch den Risikostrukturausgleich bedingt sind. (...) der Beitragssatz muss für die neuen Bundesländer gesondert kalkuliert werden und wird mit 13,2% angesetzt (...) auf Befragen von Herrn S teilt Herr Dr. J mit, dass der Beitragssatz 13,2% auch zur Schuldenabtragung der BKK L dient. Der Vorstand der BKK L, Frau W, trägt vor, dass der vorläufige Haushaltsplan von 1000 neuen Mitgliedern aufgrund der Beitragssenkungen infolge der beabsichtigten Fusion und den Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich ausgeht (...)".
Der Verwaltungsrat der NOVITAS fasste den Fusionsbeschluss in seiner Sitzung am 28. Oktober 1997. Im Sitzungsprotokoll heißt es u. a.:
"Die Ausschussmitglieder ließen sich (...) bei ihrer Entscheidung sowohl bei den Vereinigung BKK mit Sitz in Rechtskreis West als auch mit denen mit Sitz in Rechtskreis Ost ausschließlich von ihren Strukturdaten leiten".
Die Beratungsvorlage zur Sitzung des Verwaltungsrates der N Vereinigte Betriebskrankenkasse D am 28. Oktober 1997 lautet auszugsweise wie folgt:
"Rechtskreis Ost
Die Vereinigungspartner aus den neuen Bundesländern erfüllen mehr oder weni...