Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. fiktive Terminsgebühr bei Erlass eines Gerichtsbescheides. Nichtfesthaltung an der Rechtsprechung zur so genannten "Chemnitzer Tabelle". Rente wegen Erwerbsminderung. Prozesskostenhilfe. Beschwerde. Gebührenrahmen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Bedeutung der Angelegenheit. Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Haftungsrisiko

 

Leitsatz (amtlich)

In durchschnittlich gelagerten Sozialrechtsfällen ist bei Erlass eine Gerichtsbescheides regelmäßig eine (fiktive) Terminsgebühr in Höhe der hälftigen Mittelgebühr angemessen.

 

Orientierungssatz

Soweit der vormals für das Kostenrecht zuständige 6. Senat des Sächsischen LSG im Rahmen der von ihm angewandten "Chemnitzer Tabelle" zur Terminsgebührenbestimmung auf das "Surrogat" einer mündlichen Verhandlung abgestellt hat (vgl Sächsisches LSG, Beschluss vom 22.10.2009 - L 6 KN 458/09 B KO - nicht veröffentlicht), hält der erkennende Senat hieran ebenso wenig wie an der "Chemnitzer Tabelle" fest.

 

Normenkette

RVG § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 33 Abs. 3; VV RVG Nrn. 3102, 3106; SGG § 105

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 7. September 2012 wird zurückgewiesen.

II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwalts.

Der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beziehende Kläger führte vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) vertreten durch den Beschwerdeführer das Verfahren S 19 R 1530/09, in dem die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig war. Der Beschwerdeführer erhob am 19.10.2009 für den Kläger Klage, die er auf einer Seite begründete. Einen vom SG angeforderten und vom Kläger ausgefüllten Fragebogen sowie die Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht reichte der Kläger selbst zur Akte; der Beschwerdeführer erhielt vom SG für seine Akten Mehrfertigungen. Das SG holte verschiedene medizinischen Auskünfte sowie ein ärztliches Sachverständigengutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein, die dem Beschwerdeführer jeweils übersandt worden sind. Auf die Anhörung des SG zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat der Beschwerdeführer das Einverständnis erklärt. Mit Beschluss vom 21.02.2011 hat das SG dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt und mit Gerichtsbescheid vom 21.02.2011 die Klage abgewiesen.

Am 27.04.2011 hat der Beschwerdeführer beantragt, seine aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG)

460,00 €

Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG)

200,00 €

Prüfung Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels (Nr. 2102 VV RVG)

260,00 €

Entgelte für Post und Telekommunikation

 40,00 €

Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG)

182,40 €

Erstattungsbetrag

1.142,40 €

Mit Beschluss vom 16.08.2011 hat der Urkundsbeamte des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt:

Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG)

250,00 €

Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG)

100,00 €

Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG)

 20,00 €

Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG)

 70,30 €

Gesamtsumme

440,30 €

Die überdurchschnittliche Bedeutung werde durch die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers kompensiert. Der Umfang sei durchschnittlich. Zwar seien ein Befundbericht, ein Gutachten sowie medizinische Unterlagen eingeholt worden; eine Stellungnahme oder Auseinandersetzung hiermit sei jedoch nicht erfolgt. Das typische Rentenverfahren sei durchschnittlich schwierig gewesen, sodass insgesamt die Verfahrensmittelgebühr angemessen sei. Die Terminsgebühr sei nach der Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgericht (LSG) auf 100,00 € zu kürzen, denn ein schriftliches Surrogat einer mündlichen Verhandlung habe nicht stattgefunden und der Tätigkeitsumfang bei dem - wie hier - Erlass eines Gerichtsbescheides sei gering gewesen. Die Gebühr nach Nr. 2102 VV RVG sei von der auf den Rechtszug beschränkten PKH nicht erfasst.

Die gegen die Festsetzung der Verfahrens- und Terminsgebühr gerichtete Erinnerung des Beschwerdeführers hat das SG mit Beschluss vom 07.09.2012 zurückgewiesen. Es habe sich um ein typisches Rentenverfahren gehandelt, das sich nicht vom Durchschnittsfall abhebe. Eine umfangreiche Befassung mit den medizinischen Unterlagen sei nicht ersichtlich. Die Auffassungsgabe des Klägers sei nicht auffällig gewesen. Die überdurchschnittliche Bedeutung der Sache werde durch die unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisses des Klägers, der Leistungen nach dem SGB II beziehe, kompensiert. Die Kürzung der Terminsgebühr sei gerechtfertigt. Eine mündliche Verhandlung dauere in der Regel länger als eine Erläuterung des Klägers zum Ge...

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