Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten. Kostenbegriff. Kosten iS des GKG. Entscheidung nach § 192 SGG setzt keine Verfahrensbeendigung voraus
Leitsatz (amtlich)
1. "Verschuldenskosten" iS des § 192 Abs 1 SGG sind nicht "Kosten" iS des GKG.
2. Die Verfahrensbeendigung ist nicht Voraussetzung für einen Beschluss nach § 192 SGG.
Tenor
Der Beklagten werden gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 1 SGG Verschuldenskosten in Höhe von 225,00 € auferlegt.
Gründe
I.
In dem Berufungsverfahren über eine Entscheidung des Sozialgerichts Leipzig vom 29.01.2007 wurde auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt. Das Gutachten des Prof. X vom 30.09.2009 wurde der Beklagten am 06.10.2009 übersandt.
In dem Gutachten wurden die Anspruchsvoraussetzungen eindeutig bejaht. Gleichwohl wurde - aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle - das Gutachten der Beklagten zunächst nur “zur eventuellen Stellungnahme„ übersandt.
Als dieses auffiel, wurde der Beklagten mit Schreiben vom 19.11.2009 dieses Versehen mitgeteilt und darüber hinaus zu bedenken gegeben, dass bei der gegebenen Gutachtenlage sogar an ein Anerkenntnis zu denken sei.
Eine Reaktion hierauf erfolgte erst am 12.01.2010; es wurde vonseiten der Beklagten mitgeteilt, dass die Stellungnahme ca. vier bis fünf Wochen in Anspruch nehmen werde. Diese Frist verstrich jedoch ohne eine weitere Äußerung vonseiten der Beklagten.
Nachdem Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 07.04.2010 (Mittwoch nach Ostern) bestimmt worden war, ging mit Telefax vom 30.03.2010 (Dienstag vor Ostern) eine Stellungnahme ein, dem eine weitere Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition eines bei der Präventionsabteilung der Beklagten beschäftigten Diplomchemikers beilag sowie ein Auszug aus der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin über die Verbreitung und Verwendung von Pech, Teer und Teeröl in Bitumen von 1985. Diese mit Telefax übersandten Kopien waren allerdings nicht lesbar. Lesbar war erst das am 06.04.2010, also am Vortag des Termins eingehende Original.
Da in diesem Anlagenkonvolut die von Prof. X u. a. mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen belegten Annahmen mit Hinweis auf andere Veröffentlichungen explizit bestritten wurden, musste die mündliche Verhandlung am 07.04.2010 vertagt werden.
II.
Gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 SGG kann das Gericht im Urteil, oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einen Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Wäre die Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist oder wenigstens noch innerhalb der selbst gesetzten Frist eingegangen, hätte das Gericht noch die Möglichkeit gehabt, weiter zu ermitteln, Gutachter und Zeugen auf den Termin vom 07.04.2010 zu laden bzw. einen späteren Termin anzuberaumen. Der unmittelbar vor dem angesetzten Termin eingereichte Sachvortrag hatte so jedoch die einzige objektive Funktion, diesen Termin “platzen zu lassen„.
Das Gericht hat daher in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens der Beklagten Verschuldenskosten in Höhe des Mindestbetrages gemäß § 192 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 184 Abs. 2 SGG auferlegt.
Entgegen Keller (jurisPR-SozR 15/2007 Anm. 6) ist ein solcher Beschluss nicht erst nach Beendigung des Rechtsstreits zulässig.
§ 192 SGG in der jetzt geltenden Fassung wurde mit Wirkung vom 02.01.2002 durch das VI. SGGÄndG vom 17.08.2001 (BGBl. I Seite 2144) neu gefasst. Während § 192 Satz 2 in der bis dahin geltenden Fassung die “entsprechende Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG„ vorschrieb und damit die Auferlegung von Mutwillenskosten zu einem Teil der Kostenentscheidung machte, orientiert sich die seit dem 02.01.2002 geltende Fassung an § 34 GKG (jetzt: § 38 GKG) und § 34 BVerfGG.
Es handelt sich also nicht um einen Teil der Kostenentscheidung, sondern dem Wesen nach um die Auferlegung einer Gebühr. Es geht nicht um die Verteilung der angefallenen Kosten (außergerichtliche Kosten oder evtl. Gerichtskosten), sondern um eine Sanktion für die unnötige Verursachung von gerichtlichem Aufwand, der selbstverständlich auch seine finanzielle Seite hat, also “Unkosten„ für den Staat verursacht, wobei dies nichts mit dem Kostenbegriff im Sinne des GKG zu tun hat. Es geht also nicht um die Mehrkosten, die dem Gegner durch die Verzögerung entstanden sind - derartige Gesichtspunkte sind bei der Kostenentscheidung nach § 193 zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer, 9. Auflage, § 193 Anm. 12b), sondern um die Auferlegung einer Gebühr in der typischen Höhe der Pauschgebühren nach § 184 SGG, wobei insofern nur ein äußerst mittelbarer Zusammenhang mit den tatsächlich verursachten Mehrkosten für den Staat besteht, die sich ohnehin im jeweils konkreten Fall nur äußerst vage schätzen lassen.
Es besteht also kein Grund, die...