Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit. Rechtsschutzbedürfnis. Beschwerde gegen abgelehnte Verzögerungsrüge. Untätigkeitsbeschwerde. überlange Verfahrensdauer
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beschwerde gegen einen die Verzögerungsrüge eines Beteiligten zurückweisenden Beschluss des Sozialgerichts fehlt jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis, weil dadurch die Rechtsstellung des Beteiligten in einem nachfolgenden Entschädigungsverfahren nach §§ 198 bis 202 GVG nicht beeinflusst werden kann.
2. Jedenfalls seit Inkrafttreten der §§ 198 bis 202 GVG besteht kein Raum mehr für die in der Rechtsprechung zuvor diskutierte "Untätigkeitsbeschwerde", da der Gesetzgeber das Rechtschutzproblem bei überlanger Verfahrensdauer mit dem neuen Entschädigungsverfahren abschließend gelöst hat.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Juli 2012, mit dem die Verzögerungsrüge vom 12.07.2012 zurückgewiesen wurde, wird verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt in der Hauptsache die (Weiter-)Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.11.2011.
Die Klägerin bezieht seit 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach vorangegangener Bewilligung von Leistungen bis einschließlich 31.01.2012 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagter) am 20.10.2011 einen Versagungs- und Entziehungsbescheid, gegen den die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 07.12.2011 beim Sozialgericht Chemnitz Klage (S 12 AS 5755/11) erhoben hat, ohne diese näher zu begründen; zur Klageerwiderung des Beklagten hat sie keine Stellungnahme abgegeben. Mit gerichtlichem Schreiben vom 18.06.2012 sind die Beteiligten zu der für den 17.07.2012 terminierten mündlichen Verhandlung geladen worden.
Mit Schreiben vom 12.07.2012, beim Sozialgericht am 16.07.2012 eingegangen, hat die Klägerin eine Verzögerungsrüge gemäß § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erhoben, weil dem Gericht seit Klageerhebung bekannt sei, dass der Beklagte keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Regelbetrages erbringe. Dem Gericht sei seit spätestens März 2012 (Inhalt der Verwaltungsakte) bekannt, dass der Beklagte seit Januar 2012 keinerlei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mehr erbringe. Leistungen würden mit fragwürdigen Begründungen verwehrt. Dies sei nicht nur mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar sondern verstoße zudem gegen die selbstvollziehenden Normen des ICESCR.
In der mündlichen Verhandlung am 17.07.2012 hat das Sozialgericht die Verzögerungsrüge durch Beschluss zurückgewiesen, da die erforderliche Untätigkeit des Gerichts aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht gegeben sei. Gegen diesen Beschluss sei binnen eines Monats die Beschwerde zum Sächsischen Landessozialgericht zulässig.
Außerdem hat das Sozialgericht mit Urteil vom 17.07.2012 die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin am 13.08.2012 beim Sächsischen Landessozialgericht Berufung eingelegt (L 7 AS 804/12), über die noch nicht entschieden ist.
Am 13.08.2012 hat die Klägerin beim Sächsischen Landessozialgericht auch Beschwerde gegen den die Verzögerungsrüge abweisenden Beschluss vom 17.07.2012 erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, die Verzögerungsrüge sei kein Rechtsmittel, das einer Entscheidung des Ausgangsgerichts bedürfe. Eine Prüfung der Wirksamkeitsvoraussetzungen obliege insoweit dem Ausgangsgericht nicht und es könne die Entschädigungspflicht nicht durch Verfahrenserledigung innerhalb der Sechsmonatsfrist abwenden. Das Gesetz gebe dem Gericht des Ausgangsverfahrens eine Frist, in der es das Verfahren fördern und so einer weiteren Verzögerung abhelfen könne. Der bereits eingetretenen Verzögerung könne es nicht mehr abhelfen.
Sie beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 17.07.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zu verwerfen.
Er trägt vor, die Beschwerde sei entgegen der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung unstatthaft und damit unzulässig. Das Sozialgericht habe nur mit Abhilfe bzw. Nichtabhilfe reagieren können. Letzteres sei geschehen. Dagegen sei kein Rechtsmittel gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und der Gerichtsakte im Verfahren S 12 AS 5755/11 bzw. L 7 AS 804/12 verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Offen bleiben kann, ob die Beschwerde gegen den die Verzögerungsrüge der Klägerin vom 12.07.2012 zurückweisenden Beschluss des Sozialgerichts bereits nicht statthaft ist (so OLG Rostock, Beschluss vom 25.07.2012 - I Ws 176/12, zitiert nach Juris, RdNr. 11). Der Beschwerde der Klägerin fehlt jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis und sie ist daher als unzulässig zu verwerf...