Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. ernährungsbedingter Mehrbedarf aufgrund von Diabetes mellitus

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger auf Grund einer Erkrankung (hier: Diabetes mellitus Typ IIa) einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf und damit Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II hat, hängt von den individuellen Verhältnissen des Hilfebedürftigen ab und begründet deshalb keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Die Beschwerde der Beklagten richtet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. Mai 2008, mit dem der Klage auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) durch Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs stattgegeben worden ist.

Die Beklagte hatte dem Kläger, dem durch seinen Hausarzt attestiert worden war, an einem Diabetes mellitus Typ IIa zu leiden, bis zum 28. Februar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einschließlich eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs von 51,13 EUR gewährt. Auf den mit unveränderten Verhältnissen begründeten Fortzahlungsantrag bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2007 und Änderungsbescheid vom 9. Februar 2007 ab dem 1. März 2007 bis zum 31. August 2007 zwar weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, jedoch ohne einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung. Dies begründete sie mit einer Änderung der Rechtslage.

Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2007 zurück. Sie nahm dabei Bezug auf den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. August 2006 (Az.: S 23 AS 1372/06 ER), wonach ein medizinisch indizierter Mehrbedarf für Diabeteserkrankungen ausweislich einer Stellungnahme der Deutschen Diabetesgesellschaft zum Thema Mehraufwand für Diabeteskost nicht mehr bestehe.

Das Sozialgericht hat der am 8. März 2007 erhobenen Klage durch Urteil vom 9. Mai 2008 nach Einholung eines Attests des behandelnden Internisten stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung eines Mehrbedarfs in Höhe von 55,06 EUR monatlich im Zeitraum vom 1. März 2007 bis zum 31. August 2007 verurteilt. Die Berufung hat es nicht zugelassen. Das Sozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger leide nach den Bescheinigungen seiner behandelnden Ärzte an Diabetes mellitus Typ IIa, der eine kostenaufwendige Ernährung bedinge. Der Mehrbedarf für diese Ernährung bemesse sich nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen, denn der Gesetzgeber des SGB II habe mit der Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs. 5 SGB II an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur vergleichbaren Vorschrift des § 23 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) angeknüpft. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien somit die Empfehlungen des Deutschen Vereins weiterhin als geeignete Entscheidungsgrundlage für die Bestimmung der Angemessenheit eines Mehrbedarfs heranzuziehen. Die Beträge seien allerdings entsprechend der Veränderung der Regelsätze für Alleinstehende/Haushaltsvorstände jährlich fortzuschreiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 2673/05 -) sei den Empfehlungen des Deutschen Vereins besonderes Gewicht beizumessen. Ein Abweichen hiervon sei begründungsbedürftig und setze entsprechende Fachkompetenz voraus. Dem entspreche es, dass die Rechtsprechung den Empfehlungen die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens beigemessen habe. Daher sei den sachkundigen Vorgaben des Deutschen Vereins auch unter Berücksichtigung des Vorliegens neuerer wissenschaftlicher Stellungnahmen, die die Erforderlichkeit eines Mehrbedarfs bei Diabeteserkrankungen generell verneinen, zu folgen. Die Berufung sei nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, da die Frage, ob ein bestimmtes Krankheitsbild eine spezielle Ernährung bedinge, nur eine Tatsachenfrage darstelle.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung hat die Beklagte am 5. Juni 2008 Beschwerde eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Bei der Frage, ob eine kostenaufwendige Ernährung vorliege, handele es sich um ein Tatbestandsmerkmal des § 21 Abs. 5 SGB II und damit um eine Rechtsfrage. Sie sei auf Grund der Vielzahl der Fälle von grundsätzlicher Bedeutung und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Es sei die Frage zu beantworten, welche fachkundigen Stellungnahmen maßgeblich seien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 9. Mai 2008 zu...

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