Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten. Auferlegung von Verfahrenskosten auf die Behörde wegen unterlassener Ermittlungen im Verwaltungsverfahren. Regelungszweck. hier: Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung wegen Laktoseintoleranz. Arbeitslosengeld II
Leitsatz (amtlich)
Die Ermächtigung in § 192 Abs 4 SGG soll in den Fällen, in denen sich aufdrängende Ermittlungen - wider besseres Wissen - nicht im Verwaltungsverfahren vorgenommen worden sind, die Justizkassen entlasten; sie dient nicht dazu, durch das den Behörden drohende Kostenrisiko deren Einigungsbereitschaft zu erzwingen.
Orientierungssatz
Zur Auferlegung von Verfahrenskosten auf die Behörde wegen unterlassener Ermittlungen im Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung wegen Laktoseintoleranz nach § 21 Abs 5 SGB 2.
Normenkette
SGG § 192 Abs. 4; SGB II § 21 Abs. 5
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. Mai 2012 aufgehoben.
II. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer und Beklagte (im Folgenden: Beklagter) wendet sich gegen einen Kostenbeschluss des Sozialgerichts gemäß § 192 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
In der Hauptsache begehrte die 1986 geborene Klägerin die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II, insbesondere die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II. Am 12.08.2008 legte sie die Anlage MEB vor, in der der behandelnde Arzt Dipl.-Med. D… bescheinigte, dass die Klägerin wegen Laktoseintoleranz dauernd laktosefreie Kost benötige. Mit Bescheid vom 14.08.2008 lehnte der Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfs ab, weil diese Krankheit nicht durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) anerkannt worden sei. Auf ihren Weiterbewilligungsantrag gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 18.08.2008 monatliche Leistungen für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.12.2008, ohne einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu berücksichtigen. Am 20.08.2008 wandte sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Mehrbedarfs unter Berufung auf konkrete Gerichtsurteile zu Laktoseintoleranz. Zudem bestimme nicht der Deutsche Verein, wer den Mehrbedarf erhalte, sondern dies geschehe aus medizinischen Gründen.
Wegen Wegfall von Kindergeld und der Schwangerschaft der Klägerin ergingen am 18.09.2008, am 19.09.2008 und am 21.10.2008 Änderungsbescheide, wiederum ohne einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu berücksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und einer daraus resultierenden kostenaufwändigen Ernährung, der die Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II rechtfertige, nicht bestehe. Laktoseintoleranz sei nicht durch den DV anerkannt.
In dem hiergegen vor dem Sozialgericht Dresden durchgeführten Klageverfahren hat der Beklagte geltend gemacht, dass auch aus den Empfehlungen des DV vom 01.10.2008 nicht hervor gehe, dass bei einer Laktoseintoleranz in jedem Fall ein Mehrbedarf zu gewähren sei. Ein Mehrbedarf bei Lebensmittelunverträglichkeiten sei nicht geprüft worden, so dass durch ein amtsärztliches Gutachten festzustellen sei, ob im konkreten Fall ein Mehrbedarf anzuerkennen sei. Dazu sei es erforderlich, dass die Klägerin darlege, in welcher Höhe ihr im Monat ein Mehraufwand für Ernährung entstehe. Nachdem die Klägerin ihre Mehrkosten aufgelistet und die angeforderten Erklärungen übersandt hatte, hat die Fachärztin für Innere Medizin, Allergologie/Sozialmedizin des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit D…, Dr. S…, am 08.03.2010 für die Klägerin eine sozialmedizinische Stellungnahme abgegeben, wonach aus ärztlicher Sicht ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wegen Laktoseintoleranz nicht zu erkennen sei. Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Stellungnahme des Dipl.-Med. D… vom 15.05.2010 eingereicht, wonach die Klägerin bereits auf geringe Spuren von Laktose mit erheblichen Beschwerden (Blähungen, krampfartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle) reagiere und nur eine strikte laktosefreie Ernährung zu einer Linderung bzw. Vermeidung der Beschwerden führe. Da laktosefreie Nahrungsmittel deutlich teurer seien, sei der relativ seltene Nachweis eines medizinisch begründeten Mehrbedarfs gegeben. In der Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin/Sozialmedizin/Umweltmedizin Dr. B…vom 29.06.2010 hat der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit D… ausgeführt, wie die Stellungnahme vom 08.03.2010 zustande gekommen war und sich erneut fachlich geäußert.
Sodann hat das Sozialgericht durch das Einholen von Befundberichten ermittelt und Beweis erhoben durch ein Gutachten des Chefarztes der III. Medizinischen Klinik des Krankenhauses D…-F… vom 14.10.2011, in dem dieser einen Meh...