Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozessführungsbefugnis. Fiktion der Bevollmächtigung. unterstellte Prozessvollmacht bei Verwandten in gerader Linie. Ermessensvorschrift. Beschwerdeeinlegung per E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur. vollmachtloser Vertreter. keine Kostenprivilegierung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei § 73 Abs 6 S 3 SGG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht darf deshalb nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der ohne schriftliche Vollmacht auftretende Vertreter eines Beteiligten immer eine wirksame Vollmacht besitze, nur weil er ein Verwandter in gerader Linie des Beteiligten ist. In der Unterstellung einer Prozessvollmacht bei Verwandten in gerader Linie liegt weder eine Prozessführungsbefugnis kraft Gesetzes noch eine Fiktion der Bevollmächtigung (Anschluss an LSG Stuttgart vom 25.9.2012 - L 11 KR 3845/12 B).
2. Für Dokumente, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen, ist gemäß § 65a Abs 1 S 3 SGG eine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr 3 SigG vorgeschrieben. Eine dennoch mit einfacher E-Mail eingelegte Beschwerde ist somit weder schriftlich noch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle noch in elektronischer Form eingelegt und entfaltet damit keine Rechtswirkung.
3. Einem vollmachtlosen Vertreter sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil er das Gerichtsverfahren und damit den nutzlosen Verfahrensaufwand der Beklagten veranlasst hat.
4. Ein vollmachtloser Vertreter gehört nicht dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 S 1 SGG an.
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 26. März 2012 wird verworfen.
II. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1984 geborene Antragsteller ist seit dem Jahr 2005 als EDV-Berater selbständig tätig. Auf Grund seines Umzugs von H… in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners beantragte er ab dem 1. Juni 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Diese wurden ihm mit Bescheid vom 29. Juni 2011 vorläufig und ohne Anrechnung seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ab dem 1. Juni 2011 bewilligt.
Bei einem Beratungsgespräch am 29. Juni 2011 gab der Antragsteller an, dass er in nächster Zeit größere Investitionen zu tätigen habe und daher Förderleistungen benötige. Die zuständige Mitarbeiterin wies ihn unter Aushändigung eines Hinweiszettels darauf hin, dass er zunächst alternative Möglichkeiten ausschöpfen müsse und sich an die S… A… Bank (S…) zur Prüfung eines Mikrodarlehens wenden solle. Es wurde vereinbart, dass der Antragsteller nach einem Gespräch beim Kreditinstitut erneut erscheine. Am 12. Dezember 2011 suchte er erneut den Antragsgegner auf und erkundigte sich nochmals nach einer finanziellen Unterstützung für den Ausbau seiner Selbständigkeit. Hieraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass Nachweise über die zu beschaffenden Wirtschaftsgüter und deren Notwendigkeit vorzulegen seien. Entsprechende Unterlagen wurden in der Folge aber nicht vorgelegt.
Am 18. Januar 2012 hat der Vater des Antragstellers im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Unterstützung für die selbständige Tätigkeit des Antragstellers beantragt. Sein Sohn habe seit Beginn seiner Selbständigkeit im Jahr 2005 keine finanzielle Unterstützung und Förderhilfen erhalten. Eine solche stünde ihm zu und könne bis zu einer Höhe von 50.000 EUR bewilligt werden. Mit den Grundsicherungsleistungen sei es nicht möglich, eine Selbständigkeit aufzubauen. Eine schriftliche Prozessvollmacht des Antragstellers ist dem Antrag nicht beigefügt gewesen. Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2012 hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass eine für das Antragsverfahren geltende Vollmacht nachzureichen sei. Eine im Verfahren Az. S 20 AS 4805/11 dem Sozialgericht übermittelte Vollmacht reiche nicht aus. Im dortigen Verfahren hatte der Vater des Antragstellers auf Rüge des Antragsgegners und nach Aufforderung des Gerichts eine schriftliche Vollmacht vom 18. November 2011 mit folgender Anschrift zu den Akten gereicht:
"SOZIALGERICHT CHEMNITZ
Zuständiger Richter Aktenzeichen: S 20 AS 4805/11 […]".
Mit Beschluss vom 26. März 2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch auf Förderung seiner Selbständigkeit nach § 16c Abs. 2 SGB II sei nicht glaubhaft gemacht worden.
Gegen den ihm am 28. März 2012 zugestellten Beschluss hat der Vater des Antragstellers durch E-Mail am 19. April 2012 "sofortigen Widerspruch" eingelegt und den Anspruch seines Sohnes auf Gewährung von Fördergeldern weiterverfolgt. Mit gerichtlicher Eingangsbestätigung vom 30. April 2012 ist er zur Übersendung einer schriftlichen Prozessvollmacht im Original aufgefordert worden. Eine Vollmachte ist nicht zu den Akten gereicht worden.
Wegen der weiter...