Entscheidungsstichwort (Thema)
Erteilung eines Bildungsgutscheins durch einstweiligen Rechtsschutz. Anordnungsgrund. Drohender Anspruchsverlust. Ermessen
Orientierungssatz
1. Bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beschränkt sich die summarische Prüfung auf die tatsächlichen Feststellungen. Die hierauf aufbauende rechtliche Würdigung ist dagegen grundsätzlich abschließend vorzunehmen.
2. Der Bildungsgutschein nach § 77 Abs. 3 SGB 3 ist eine Leistungsbewilligung dem Grunde nach. Er berechtigt den Arbeitslosen, in einem vorgegebenen Rahmen selbst über die Auswahl unter den zugelassenen Maßnahmen zu entscheiden.
3. Eine Maßnahme ist dann zur Förderung zugelassen, wenn sie u. a. angemessene Teilnahmebedingungen bietet. Bei der Dauer der Fördermaßnahme ist die persönliche Situation, das Alter, die Lebenserfahrung und die Berufsvorbildung des Umschülers zu berücksichtigen.
4. Ein Anordnungsgrund ist bei deutlich überwiegender Erfolgsaussicht dann gegeben, wenn nach Abbruch der Maßnahme ein nachträglich nicht korrigierbarer endgültiger Verlust des Anspruchs auf Umschulung droht.
Normenkette
SGB III § 7 Abs. 3, § 85 Abs. 2, § 434d Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 27.07.2004 aufgehoben. Ferner wird der Beschwerdegegnerin untersagt, aus ihrem Bescheid vom 08.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Rechtsfolgen für das hier streitige Rechtsverhältnis abzuleiten. Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin einen vorläufigen Bildungsgutschein für eine 21/2 Jahre dauernde Umschulung zur Arzthelferin zu erteilen sowie ihr vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Kosten der von ihr bereits begonnenen Maßnahme und Unterhaltsgeld ab Maßnahmebeginn zu gewähren.
II. Die Beschwerdegegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin für dieses Antrags- und Beschwerdeverfahren.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über das Bestehen eines Anspruchs der Beschwerdeführerin (Bf.) auf Erteilung eines Bildungsgutscheines und Bewilligung der Kosten für die Umschulung sowie des Unterhaltsgelds (Uhg) für die Förderung der am 25.08.2003 begonnenen Umschulungsmaßnahme zur Arzthelferin. Dieses Rechtsschutzbegehren ist in ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingebettet.
Die am ...1975 geborene Bf., eine gelernte Restaurantfachfrau, erhielt vom 02.10.1999 bis 29.02.2000 und nach dem sich anschließenden Bezug von Mutterschafts- und Erziehungsgeld ab 17.04.2003 Arbeitslosengeld (Alg) von der Beschwerdegegnerin (Bg.).
Am 16.05.2003 beantragte sie die Förderung der Teilnahme an der beruflichen Umschulung zur Arzthelferin. Am 03.06.2003 schloss sie einen Umschulungsvertrag mit der Hautärztin Dipl.-Med. M..., K... Hiernach begann das Umschulungsverhältnis am 25.08.2003. Es soll bis zum 24.02.2006 andauern. Die theoretische Unterweisung soll im beruflichen Schulungszentrum Gesundheit und Sozialwesen D... erfolgen. Die Ärztin hatte die Bf. bereits am 23.05.2003 für die Umschulung beim Schulungszentrum angemeldet.
Die Bg. lehnte die Förderung der Umschulung mit Bescheid vom 08.08.2003 ab. Sie dürfe eine Umschulungsmaßnahme gemäß § 85 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (23.12.2002, BGBl. I 4607) nur fördern, wenn die Dauer der Umschulung im Vergleich zur regulären Berufsausbildung um mindestens 1/3 verkürzt sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht gegeben. Eine Ausnahme von dieser Regelung setze gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III eine bundes- oder landesrechtliche Grundlage voraus. Eine solche existiere nicht. Den Widerspruch der Bf. wies die Bg. mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2003 zurück. Die reguläre Ausbildungsdauer in dem nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelten Beruf der Arzthelferin betrage 36 Monate. Eine geförderte Umschulung dürfte daher nur 24 Monate dauern. Nach dem vorgelegten Umschulungsvertrag sei eine Umschulungsdauer vom 25.08.2003 bis 24.02.2006 vorgesehen. Die max. Förderdauer sei daher überschritten. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 434 d Abs. 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001 (BGBl. I 3443) lägen ebenfalls nicht vor.
Bereits am 18.08.2003 hatte die Bf. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Dresden (SG) die Erteilung eines Bildungsgutscheins zur Teilnahme an der genannten Umschulung beantragt. Die Sächsische Landesärztekammer hatte in diesem Verfahren ausgeführt, der Berufsbildungsausschuss der Sächsischen Landesärztekammer habe folgende Grundsätze für die Ausbildung zur Arzthelferin beschlossen: Die Ausbildungszeit für Umschülerinnen könne unter Beachtung des § 47 BBiG von 3 auf 21/2 Jahre...