Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Ausbildungsgeld bei beruflicher Ausbildung. keine zweckbestimmte Einnahme. Vergleichbarkeit von Leistungszweck und Leistungshöhe anderer Ausbildungsleistungen. kein Verstoß gegen AGG
Orientierungssatz
1. Bei Ausbildungsgeld gem § 104 Abs 1 Nr 1 SGB 3 handelt es sich nicht um eine zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2.
2. Neben dem übereinstimmenden Leistungszweck (hier: Deckung des Lebensbedarfs) sind auch die Bedarfe bei Ausbildungsgeld gem § 104 SGB 3, Berufsausbildungsbeihilfe nach § 59 Nr 3 SGB 3 und Ausbildungsförderung nach § 11 Abs 1 BAföG vergleichbar.
3. Eine Vergleichbarkeit besteht nicht zwischen dem Ausbildungsgeld gem § 104 Abs 1 Nr 1 iVm § 105 SGB 3 und dem Ausbildungsgeld bei Maßnahmen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) nach § 104 Abs 1 Nr 2 iVm § 107 SGB 3. Hiergegen spricht die unterschiedliche Stellung eines Berufsbildungswerks und einer Werkstatt für behinderte Menschen.
4. Für die Einstufung einer Einrichtung als eine WfbM ist es unerheblich, ob ausschließlich oder überwiegend behinderte Menschen ausgebildet werden; die selbst gewählte Ausrichtung oder Prägung eines Berufsbildungswerks macht sie nicht zu einer WfbM.
5. Eine Rechtsauslegung, die für Menschen mit Behinderung günstigere Folgen mit sich bringt als für Menschen ohne Behinderung (hier: Nichtberücksichtigung von Einnahmen gem § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2 bei Ausbildungsgeld gem § 104 Abs 1 Nr 1 SGB 3), ist keine unzulässige Benachteiligung iS des AGG, insbesondere keine mittelbare Benachteiligung iS des § 3 Abs 2 AGG; sie widerspräche jedoch der hinter dem Gesetz stehenden Intention, jede sachlich nicht begründete Unterscheidung, mithin auch "umgekehrte Diskriminierungen", zu verhindern oder zu beseitigen.
Tenor
I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 17. November 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2005 Ausbildungsgeld bei beruflicher Ausbildung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) als Einkommen zu berücksichtigen ist.
Die 1982 geborene Klägerin, bei der wegen einer dialysepflichtigen Nierenerkrankung ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt ist, absolvierte im Zeitraum vom 1. September 2003 bis 31. August 2006 im A. -L. -Berufsbildungswerk B. als Rehabilitationsmaßnahme eine Ausbildung zur Modenäherin. Hierfür erhielt sie vom Arbeitsamt Zwickau Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 97 ff SGB III i.V.m. § 33 und §§ 44 ff. des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), unter anderem für die Zeit vom 1. März 2004 bis 31. August 2005 Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 93,00 EUR.
Auf den Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2005 in Höhe von monatlich 230,00 EUR. Der von der Klägerin vorgelegte Bescheid trägt das Datum 21. Dezember 2004, der in der Verwaltungsakte befindliche Zweitausdruck enthält das Datum 16. Dezember 2004. Als Bedarf legte die Beklagte die Regelleistung in Höhe von 331,00 EUR und den Mehrbedarf zum Lebensunterhalt für behinderte Menschen in Höhe von 116,00 EUR zugrunde. Als Einkommen wurde das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR, das der Klägerin von ihrer Mutter ausgezahlt wurde, sowie das Ausbildungsgeld angesetzt; hiervon wurde die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR abgesetzt.
Auf den Widerspruch der Klägerin erließ die Beklagte den Änderungsbescheid vom 6. Juni 2005. Darin erhöhte sie für den genannten Leistungszeitraum die monatlichen Leistungen auf 495,22 EUR. Das Kindergeld wurde als Einkommen gestrichen. Da die Klägerin angegeben hatte, bei ihren Eltern zu wohnen, wurden von den Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 333,64 EUR ein Drittel, nämlich 111,22 EUR angesetzt.
Wegen einer Änderung der Familienversicherung erließ die Beklagte am 26. September 2005 einen Änderungsbescheid für Mai 2005 und am 13. Oktober 2005 einen Änderungsbescheid für Januar bis April 2005. In diesen wurden die monatlichen Leistungen jeweils auf 495,22 EUR festgesetzt.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin sodann mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2005 zurück. Das Ausbildungsgeld nach § 104 SGB III und die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem 6. Kapitel des SGB XII seien anrechnungsfreies Einkommen, wenn die Ausbildung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erfolge. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt.
Die Kläg...