Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bzw Aufhebung eines Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. Anhörung. Nichterkennbarkeit der Rechtsgrundlage. fehlende Mitteilung einer vor Erlass des Bewilligungsbescheides eingetretenen Änderung. Kenntnis von der Mitteilungspflicht. Behauptung der Erfüllung. Nichterweislichkeit des Zugangs einer Änderungsmitteilung. Beweislastentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn zum Zeitpunkt der Anhörung aus Sicht der zuständigen Behörde noch nicht festgestellt werden kann, auf welche Rechtsgrundlage und welchen etwaigen Vertrauensausschlusstatbestand die beabsichtigte Rückforderung gestützt werden kann oder soll, genügt die Anhörung nur dann den Anforderungen aus § 24 Abs 1 SGB 10, wenn sie jedenfalls auch die spätere Rückforderungsentscheidung abdeckt.
2. Wenn ein Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig die Mitteilung wesentlicher geänderter Umstände unterlässt, die er bei Antragstellung noch anders angegeben hatte, die aber vor Erlass des Bewilligungsbescheids eingetreten sind, so ist dieses Unterlassen bei der Rücknahme der Leistungsbewilligung wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit der unrichtigen oder unvollständigen Angabe gleichzusetzen (Anschluss an BSG vom 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R = BSGE 96, 285 = SozR 4 4300 § 122 Nr 4).
3. Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Damit geht die Nichterweislichkeit des Zugangs von Änderungsmitteilungen bei der zuständigen Behörde zu Lasten des Mitteilungspflichtigen.
4. Die Behauptung, eine Mitteilungspflicht erfüllt zu haben, setzt notwendigerweise die Kenntnis der Mitteilungspflicht voraus.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 19. März 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 30. April 2006 und die damit verbundene Rückforderung der gezahlten Leistungen in Höhe von 3.475,58 EUR.
Der 1955 geborene Kläger steht gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin U… S… seit dem 1. Januar 2005 im Leistungsbezug des Beklagten beziehungsweise dessen Rechtsvorgängers. Bei der Antragsstellung am 9. September 2004 gab er einen Witwenrentenbezug seiner Lebensgefährtin in Höhe von 268,36 EUR monatlich an. Im Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen vom 24. Mai 2005 gab er zudem ein Arbeitslosengeldbezug der Lebensgefährtin in Höhe von 419,40 EUR monatlich an.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2005 setzte die Landesversicherungsanstalt Sachsen die große Witwenrente der Lebensgefährtin des Klägers ab dem 1. August 2005 auf monatlich 577,75 EUR fest. Die festgestellte Nachzahlung in Höhe von 1.279,51 EUR wurde ihr im Juli 2005 ausgezahlt. Eine Mitteilung über diese Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse findet sich nicht in der Verwaltungsakte.
Mit Bescheid vom 5. August 2005 bewilligte der Beklagte unter Zugrundelegung der Angaben im Antrag vom 24. Mai 2005 für die Zeit vom 24. Mai 2005 bis zum 31. Oktober 2005 Leistungen nach dem SGB II.
Mit weiterem Fortzahlungsantrag vom 11. Oktober 2005 gab der Kläger an, dass sich die Einkommensverhältnisse nicht geändert hätten.
Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 Leistungen für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 30. April 2006.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2005 hob die Deutsche Rentenversicherung M…den Bescheid vom 27. Juni 2005 bezüglich der Rentengewährung der Lebensgefährtin des Klägers teilweise auf, gewährte ihr nunmehr eine Rente in Höhe von 492,90 EUR monatlich ab dem 1. November 2005 und forderte die Überzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Oktober 2005 zurück. Ausweislich des Bescheides vom 23. November 2005 der Deutschen Rentenversicherung M… erhielt diese für Januar 2006 einmalig einen überzahlten Rentenbetrag ein mit der Folge, dass für Januar 2006 lediglich eine Witwenrente in Höhe von 323,20 EUR zur Auszahlung kam.
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 gewährte die Deutsche Rentenversicherung M… der Lebensgefährtin des Klägers ab Februar 2006 erneut eine monatliche Witwenrente in Höhe von 492,90 EUR. Des Weiteren bezog diese ausweislich des Datenabgleichs der Beklagten mit der Bundesagentur für Arbeit ab dem 17. Juni 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 838,50 EUR.
Daraufhin forderte der Beklagte die Lebensgefährtin des Klägers zur Vorlage von Unterlagen beziehungsweise Nachweisen bezüglich ihrer Einkommensverhältnisse auf. Nachdem diese der Aufforderung durch Ausfüllung de...