Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung nach Qualifikationsgruppen im Anschluss an Erziehungszeiten. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
Die Regelungen in § 130 Abs 3, § 132 Abs 1 SGB 3 (in der bis 31.3.2012 geltenden Fassung) über die Zugrundelegung eines fiktives Arbeitsentgeltes als Bemessungsentgelt sind mit dem Grundgesetz und dem EU Recht vereinbar.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 11. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht auf der Grundlage fiktiven Arbeitsentgelts, hilfsweise jedenfalls unter Berücksichtigung einer höheren Qualifizierungsstufe, zu bewilligen.
Die am … 1970 geborene Klägerin ist gelernte Feinmechanikerin und Zahntechnikerin. Ab dem 1. April 2006 war sie bei der Firma D…D… GmbH tätig. Vom 22. April 2009 bis zum 4. August 2009 befand sie sich im gesetzlichen Mutterschutz. Vom 5. August 2009 bis zum 30. Dezember 2010 nahm sie Elternzeit in Anspruch. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis der zuletzt als "Kaufmännische Angestellte (Außendienst)" beschäftigten Klägerin mit Schreiben vom 31. Dezember 2010 zum 31. März 2011.
Am 25. Februar 2011 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 1. April 2011. Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 entsprach die Beklagte dem Begehren und bewilligte Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 30. März 2012 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 27,50 EUR. Der Berechnung legte sie ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde. Die Klägerin habe in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt, so dass bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes nach § 132 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen sei. Dieses richte sich nach der Beschäftigung, für die die Klägerin in erster Linie geeignet sei, und der dazugehörigen Qualifikationsstufe. Die Klägerin sei für eine Tätigkeit als Zahntechniker geeignet. Dafür sei eine Ausbildung erforderlich, so dass die Qualifikationsstufe 3 (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 SGB III) einschlägig sei.
Dagegen legte die Klägerin am 12. Mai 2011 Widerspruch ein. Die Einordnung in die Qualifikationsstufe 3 entspreche nicht ihren seit 2002 ausgeübten Tätigkeiten und dem Qualifikationsstand. Ohnehin sei ihr Arbeitslosengeld anhand des tatsächlich zuletzt erzielten durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgeltes und nicht fiktiv zu berechnen.
Mit Änderungsbescheid vom 26. Mai 2011 setzte die Beklagte den Leistungssatz für die Zeit ab dem 1. Juni 2011 auf 24,63 EUR fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Innerhalb des im Falle der Klägerin nach § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens, der sich vom 1. April 2009 bis zum 31. März 2011 erstrecke, könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden. Es sei daher nach § 132 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zulegen. Für die für die Klägerin in Betracht kommende Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin beziehungsweise Technische Beraterin im Dentalbereich sei eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erforderlich, die die Klägerin auch nachweisen könne. Hingegen lägen Nachweise für die Zuordnung in eine höhere Qualifikationsgruppe nicht vor. Die von der Klägerin vorgelegten Zertifikate und Lehrgangsbescheinigungen dokumentierten keine Ausbildung oder Weiterqualifikation, die eine Einstufung in die Qualifikationsstufe 2 rechtfertigten. Es ergebe sich ein tägliches Arbeitslosengeld in Höhe von 27,50 EUR.
Mit dem weiteren Änderungsbescheid vom 14. Juli 2011 setzte die Beklagte den Leistungssatz für die Zeit ab dem 1. Juni 2011 auf 27,50 EUR fest.
Die Klage vom 18. Juli 2011 hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2012 abgewiesen. Die Klägerin habe im zutreffend zugrunde gelegten erweiterten Bemessungsrahmen vom 1. April 2009 bis zum 31. März 2011 unstreitig keinen Bemessungszeitraum mit einem Anspruch auf Arbeitsentgelt vom mindestens 150 Tagen. Weder beim bezogenen Mutterschaftsgeld noch beim Zuschuss zum Mutterschaftsgeld handele es sich um Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Die Beklagte habe daher nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt heranziehen müssen. Weiter hat das Sozialgericht ausgeführt:
"Die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Qualifikationsgruppen, wenn der Bemessungszeitraum infolge von Erziehungszeiten...