Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Trennung von Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft unter Beibehaltung der gemeinsamen Wohnung. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu § 1567 Abs 1 BGB. keine gemeinsame Haushaltsführung. keine wesentlichen persönlichen Beziehungen. Anforderungen an die Verwertbarkeit eines Manipulationsverdachts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die zu § 1567 Abs 1 BGB ergangene Rechtsprechung kann für eine behauptete Trennung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft herangezogen werden (Fortführung von LSG Chemnitz vom 7.6.2012 - L 3 AS 150/10).

2. Die Feststellung einer Bedarfsgemeinschaft iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 kann nicht auf bloße Vermutungen gestützt werden. Um einen Manipulationsverdacht entscheidungserheblich verwertbar zu machen, bedarf es der Dokumentation, auf welche Tatsachen der Verdacht gestützt wird. Außerdem ist es für das weitere Verfahren hilfreich, wenn zeitnah, möglichst wenn der Verdacht entsteht, dem Betroffenen der Verdacht vorgehalten und seine Reaktion hierauf dokumentiert wird.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Oktober 2010 unter Ziffer 1 und 2 geändert und neu gefasst:

Der Bescheid der ARGE Annaberg vom 7. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2010 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für Februar 2010 in Höhe von 518,74 EUR, für März 2010 in Höhe von 500,85 EUR, für April 2010 in Höhe von 534,35, für Mai 2010 in Höhe von 512,70 EUR, für Juni 2010 in Höhe von 534,53 EUR und für Juli 2010 in Höhe von 536,19 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis zum 31. Juli 2010 streitig.

Der 1960 geborene, erwerbsfähige Kläger ist Miteigentümer zu ½ an dem 499 m² großen Grundstück A… P… , A…-B…. Die zweite Miteigentümerin ist die 1958 geborene Zeugin S… B…. Das Grundstück ist mit einem Haus mit einer Wohnfläche von 62 m² bebaut. Im Haus gibt es drei Wohnebenen. Im Erdgeschoss befinden sich die Küche und das Wohnzimmer, im Obergeschoss im Dachbereich das Schlafzimmer und das Bad, und darüber das ausgebaute Dachgeschoss. Das Haus wird vom Kläger und der Zeugin B… bewohnt.

Bereits mit dem Erstantrag vom 15. Oktober 2004 legte der Kläger eine notariell beurkundete eidesstattliche Versicherung vom 3. August 2000 vor. Darin erklärten der Kläger und die Zeugin B…, dass sie das Haus zwar gemeinsam bewohnen würden, aber keine eheähnliche Gemeinschaft führen würden. Die Erklärung werde gegenüber allen zuständigen Behörden und Gerichten abgegeben. Außerdem erklärte er anlässlich der Antragstellung, dass die Unterkunftskosten zur Hälfte geteilt würden.

Handschriftlich vermerkt ein Verwaltungsmitarbeiter am 27. November 2004 auf dem Erstantrag, dass der Kläger mit der Zeugin B… keine eheähnliche Gemeinschaft führe. Die ARGE Landkreis A…, später ARGE A… (im Folgenden: ARGE) bewilligte dem Kläger als 1-Personen-Bedarfsgemeinschaft ab 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II, zuletzt bis zum 31. Juli 2009.

Erstmals unter dem 28. Mai 2009 findet sich in der Verwaltungsakte ein Vermerk, wonach das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft geprüft werden sollte. Am 16. Juni 2009 fand ein unangemeldeter Hausbesuch statt. Die Mitarbeiter kamen zu der Einschätzung, dass die Verhältnisse im Haus vom ersten Erscheinen um 14.00 Uhr bis zum eigentlichen Besuch um 16.00 Uhr präpariert worden seien.

Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2009 unterrichtete die ARGE den Kläger, dass sie davon ausgehe, dass er mit der Zeugin B… eine Bedarfsgemeinschaft bilde. Es sei beabsichtigt, die Zeugin mit in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen. Die ARGE gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme und forderte ihn gleichzeitig auf, bestimmte Vordrucke auszufüllen. Dem kam der Kläger nach. Die Zeugin B… erklärte mit Schreiben vom 28. Juni 2009, dass sie mit dem Kläger schon seit mehreren Jahren keine eheähnliche Gemeinschaft mehr habe. Sie werde weder der ARGE noch dem Kläger ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen.

Am 24. Juni 2009 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag. Im Schreiben vom 14. August 2009 verwies er auf die eidesstattliche Versicherung. Seit diesem Zeitpunkt bestehe keine gegenseitige finanzielle Unterstützung. Dies habe er immer in den Anträgen angegeben. Auf Grund seiner Angaben seien ihm zunächst Arbeitslosengeld und später Arbeitslosengeld II bewilligt worden. Am 24. August 2009 zeigte sich für die Zeugin B… eine Rechtsanwaltskanzlei an, die sich gegen eine Auskunfts...

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