Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Krankenversicherung. Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers. Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht bei Hilfsmittelversorgung (hier Hörgerät). Wirtschaftlichkeitsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX erstreckt sich im Falle des nicht fristgerecht weitergeleiteten Antrages des Versicherten nicht nur auf Teilhabeleistungen sondern auch auf Leistungen der Krankenbehandlung, sofern solche Leistungen das Begehren des versicherten Antragstellers decken können. Der im Falle nicht fristgerechter Weiterleitung endgültig zuständig gewordene Leistungsträger hat den geltend gemachten Anspruch - hier auf das Hilfsmittel Hörhilfe - anhand aller Rechtsgrundlagen, auch nach zuständigkeitsfremden Leistungsgesetzen, zu prüfen und zu erbringen, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation in Betracht kommen und dem Grunde nach vorgesehen sind.
2. Der Hörgeräteakustiker ist zwar beauftragter Leistungserbringer der Krankenkasse, jedoch keine zur Entgegennahme von Sozialleistungsanträgen befugte Stelle (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Die Übergabe der ohrenärztlichen Verordnung durch den Versicherten an den Hörgeräteakustiker kann daher nicht bereits als Eingang des Antrages auf Hilfsmittelgewährung gegenüber der Krankenkasse gewertet werden. Erst die Weiterleitung des Hilfsmittelbegehrens durch den Hörgeräteakustiker namens und im Auftrag des Versicherten an die Krankenkasse stellt den Eingang des Leistungsantrages bei einem Sozialleistungsträger dar.
3. Die Abgrenzung des Umfangs der Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung im Bereich von geltend gemachten Teilhabeleistungen richtet sich danach, ob das begehrte Hilfsmittel - hier das Hilfsmittel Hörhilfe - dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient (Leistungspflicht der Krankenversicherung) oder ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile bietet (Leistungspflicht der Rentenversicherung).
4. Die Kostenerstattung eines selbstbeschafften Hörgeräts ist zwar davon abhängig, ob der Versicherte das ihm Zumutbare getan hat, um die notwendige Leistung zur Vermeidung unnötiger Kosten zu ermitteln. Testet der Versicherte bei einem von der Krankenkasse zugelassenen Hörgeräteakustiker jedoch mehrere Hörgeräte, darunter auch solche zu Vertragsarztpreisen oder Festbeträgen, und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Testung und Anpassung unsachgemäß erfolgte oder überteuerte bzw luxuriöse Geräte angepasst worden sind, dann erfüllt der Versicherte regelmäßig diese Obliegenheit, soweit die Leistungsträger nicht im Einzelfall Vorschläge unterbreiten, denen der Versicherte konkret nachgehen kann, um eine preiswertere Hörgeräteversorgung mit gleichadäquaten Ergebnissen zu erreichen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 6. Juni 2011 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2008 verurteilt wird, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.730,00 Euro für die Anschaffung der Hörgeräte der Marke “Syncro Compact Power„ der Firma “O…„ zu erstatten hat.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als Krankenbehandlung die Kosten für zwei digitale Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung in Höhe von 5.342,80 Euro abzüglich des von der Krankenkasse bereits geleisteten Festbetrages zu Vertragsarztsätzen in Höhe von 1.212,80 Euro - und abzüglich des gesetzlichen Zuzahlungsbetrages in Höhe von 20,00 Euro - sowie abzüglich eines von einer privaten Krankenzusatzversicherung der Klägerin gewährten Zuschusses in Höhe von 1.400,00 Euro, mithin einen Betrag in Höhe von 2.730,00 Euro, zu erstatten.
Die 1964 geborene Klägerin ist seit 1. November 1999 als Referentin bei der Firma S… AG beschäftigt. Sie arbeitet im Bereich Sales Support/Zentrales Ressourcenmanagement an einer zentralen Schnittstelle zwischen dem Management, den operativen Fachbereichen und den Verwaltungsbereichen Personal, Rechnungswesen sowie Vertrieb und Marketing. Ihr Aufgabengebiet umfasst dabei kommunikationsintensive Aufgaben, telefonische Kontakte mit Kollegen, Vertretern der Managementebene, Kunden und externen Partnern. Sie ist die zentrale Ansprechpartnerin für Vertragsfragen, muss diesbezüglich Abstimmungen treffen, sich in Mehrpersonengesprächen auf fachlicher Ebene auch in englischen Vokabeln verständigen, nimmt an Meetings teil und hat Informationen an die Unternehmensleitung und den operativen und internen Unternehmensbereich weiterzuleiten.
Nach (wiederholter) ohrenärztl...