Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Klage gegen eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB 12. eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Vergütungsvereinbarung. Plausibilität der voraussichtlichen Gestehungskosten. externer Vergleich bei tarifgebundenen Einrichtungen. Bestimmung der Laufzeit. Wirtschaftlichkeit. Sparsamkeit. Leistungsfähigkeit. Gestehungskosten des Leistungserbringers. Besondere Personalstruktur. Angemessenheitsprüfung. Eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Anfechtungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Vergütungsfestsetzung in der Sozialhilfe ist einem ersten Schritt die Plausibilität der voraussichtlichen Gestehungskosten des Leistungserbringers zu prüfen (Plausibilitätskontrolle); diese sind anschließend in einem zweiten Schritt mit den Vergütungen anderer vergleichbarer Leistungserbringer ins Verhältnis zu setzen (externer Vergleich) und müssen dabei in einer angemessenen und nachvollziehbaren Relation zu letzteren stehen.

2. Auch die Vergütungsforderungen tarifgebundener Leistungserbringer sind dem externen Vergleich mit anderen Leistungserbringern zu unterziehen. Der besonderen Bedeutung der Tarifbindung ist aber durch eine nur auf Ausnahmefälle beschränkte Kürzung der Personalaufwendungen Rechnung zu tragen.

3. Externer Vergleich und Tarifbindung stehen nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis. Vielmehr ist die Tarifbindung im Rahmen des externen Vergleichs zu berücksichtigen und genießt dabei einen besonderen Stellenwert.

4. Sind überdurchschnittlich hohe Personalaufwendungen maßgeblich auf die Häufung individueller tarifrechtlicher Entgeltsteigerungstatbestände zurückzuführen und ist die Reduzierung der Personalkosten rechtlich und tatsächlich ausgeschlossen, scheidet eine Kürzung der plausiblen Personalaufwendungen im Wege des externen Vergleiches aus.

5. Die Laufzeit einer durch die Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsvereinbarung muss sich im Rahmen der von beiden Vertragsparteien gestellten Anträge bewegen.

6. Eine Vergütungsvereinbarung darf frühestens am Anfang des Verhandlungszeitraums, dh des Zeitraums, über den verhandelt werden darf, in Kraft treten. Wird vor Ablauf des Vereinbarungszeitraums der bisherigen Vergütungsvereinbarung zu neuen Vertragsverhandlungen aufgefordert, kann - von den Fällen des § 77 Abs 3 SGB XII abgesehen - der Verhandlungszeitraum erst im Anschluss an den noch laufenden Vereinbarungszeitraum beginnen. Galt dagegen die Vergütung nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums nur noch gem § 77 Abs 2 S 4 SGB XII fort, kann der Verhandlungszeitraum mit der Verhandlungsaufforderung einer Vertragspartei beginnen.

7. Eine Verlängerung des Vereinbarungszeitraums, die nicht von beiden Vertragsparteien beantragt worden ist, bedarf einer besonderen Begründung durch die Schiedsstelle.

 

Normenkette

SGB XII § 77 Abs. 1, §§ 80, 75 Abs. 2-3, § 76 Abs. 2

 

Tenor

I. Der Schiedsspruch der beigeladenen Schiedsstelle vom 12. März 2014 - Az.: 44-5011.50/352 - wird aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Schiedsspruch zur Vergütung von ambulanten Leistungen der Wohnungslosenhilfe nach §§ 67 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der Kläger ist Mitglied des Diakonischen Werks und freier Träger der Wohnungslosenhilfe in der Stadt L…. Dort bietet er ausschließlich Dienstleistungen nach §§ 67 ff. SGB XII - in Gestalt von ambulant betreutem Wohnen in zwei Wohnprojekten sowie im eigenen Wohnraum (des Hilfebedürftigen) und in Gewährleistungswohnungen (der Stadt L…) - an und ist mit 6 Fachkräften bei einer Kapazität von 84 Hilfebedürftigen größter Anbieter dieser Hilfeart in Sachsen. Als Mitglied des Diakonischen Werks ist der Kläger verpflichtet, die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) Diakonie in der für Sachsen jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Die Mitarbeiter des Klägers sind langjährig tätige und erfahrene Fachkräfte (Beschäftigungszeiten von 9, 14, 15, 16 bzw. 18 Jahren).

Für den Kläger galt zuletzt eine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung vom 17.05.2010. Darin war (bei einem Personalschlüssel von 1 Fachkraft für 14 Plätze in Wohngemeinschaften bzw. im Einzel- und Paarwohnen) folgende Vergütung je Hilfebedürftigem im Monat festgelegt:

Zeitraum

17.05.2010 bis 31.12.2010

Gesamtvergütung

290,68 €

davon für

personelle Ausstattung

270,45 €

sächliche Ausstattung

20,23 €

Auf Aufforderung des Klägers vom 30.10.2012 verhandelten die Beteiligten die Vergütung neu. Dabei konnte lediglich eine Einigung bei den Sachkosten erzielt werden.

Daraufhin rief der Kläger mit Schreiben vom 27.03.2013 die beigeladene Schiedsstelle an. Er beantragte, die Vergütung (je Hilfebedürftigem im Monat) folgendermaßen festzusetzen:

Zeitraum

01.01.2013 bis 31.12.2013

01.01.2014 bis 31.12.2014

Gesamtvergütung

321,38 €

327,12 €

davon für

personelle Ausstattung

299,51 €

305,25 €

sächliche Ausstattung

21,87 €

21,87 €

Obwohl er - der Kläger - die gemäß den A...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?