Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. endgültige Entscheidung mit Erstattungsforderung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. keine Umdeutung der vorläufigen Bewilligung in eine vorläufige Zahlungseinstellung bei nachträglichen Änderungen. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Einnahmen aus selbständiger Arbeit. Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Zuordnung der Einnahmen zum einheitlichen Geschäftskonzept. Verlustausgleich

 

Orientierungssatz

Die Entscheidung ist durch Beschluss des LSG Chemnitz vom 9.3.2021 - L 3 AS 736/19 - berichtigt worden.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem Erlass einer endgültigen Leistungsbewilligung konnte bis zum 31.7.2016 keine erstmalige vorläufige Leistungsbewilligung erlassen werden.

2. Eine vorläufige Leistungsbewilligung kann nicht in eine vorläufige Zahlungseinstellung umgedeutet werden (Bestätigung von LSG Chemnitz vom 19.3.2020 - L 3 AS 1200/16).

3. Die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (juris: AlgIIV 2008) regelt nur die Berechnung bestimmter Einkommensarten. Sie kann nicht so verstanden werden, dass die Einkommensarten, die von § 4 Alg II-V erfasst werden, stets getrennt neben den Einkommensarten aus §§ 2 und 3 Alg II-V zu behandeln sind. Vielmehr ist anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles zu werten, ob eine Einkommensart im Sinne von § 4 Alg II-V ein Teil einer Einkommensart im Sinne von §§ 2 und 3 Alg II-V ist.

4. Es gibt keine Rechtsgrundlage, die es einem Jobcenter oder einem Sozialgericht erlauben würde, ein einheitliches Geschäftskonzept in seine Einzelteile zu zerlegen, um bestimmte Einnahmen grundsicherungsrechtlich getrennt zu behandeln.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2011-05-13, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 S. 1, § 40 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4, § 41a Abs. 2-3, 5; Alg II-VO §§ 2-4; SGB X § 24 Abs. 2 Nr. 5, §§ 31, 39 Abs. 2, § 48 Abs. 1 S. 2, § 50 Abs. 1, § 3 S. 2, § 51 Abs. 1; SGB III § 328 Abs. 2-3, §§ 330, 331 Abs. 2; SGB I §§ 14-15; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichtes Dresden vom 3. Juni 2019 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2014 verurteilt, der Klägerin über die im Bescheid vom 22. Oktober 2012 bewilligten Leistungen hinaus weitere 73,62 EUR für Oktober 2012, 73,62 EUR für November 2012 und 92,05 EUR für Dezember 2012 zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich zum einen gegen die Aufhebung einer vorläufigen Leistungsbewilligung sowie einer damit verbundenen Erstattungsforderung und begehrt zum anderen die endgültige Gewährung von höheren als den vorläufig bewilligten Leistungen für die Monate Oktober bis Dezember 2012.

Die 1983 geborene, alleinlebende Klägerin, die vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bezog, beantragte am 21. Mai 2012 die Weiterbewilligung der Leistungen. Der Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 25. Mai 2012 Leistungen für die Monate Juli bis Dezember 2012 in Höhe von monatlich 674,00 EUR.

Die Klägerin informierte am 3. September 2012 den Beklagten im Rahmen einer persönlichen Vorsprache darüber, dass sie beabsichtige, sich ab Oktober 2012 selbständig zu machen. Sie wolle einen Reiterhof beziehungsweise eine Pferdepension betreiben. Den Hof habe sie mittels eines Existenzgründungszuschusses gekauft. Der Kaufpreis für das gesamte Anwesen betrug 240.000,00 EUR. Die Klägerin schloss am 28. Juni 2012 einen Darlehensvertrag mit der Volksbank Y.... über einen Betrag in Höhe von 148.000,00 EUR, am selben Tag einen Kreditvertrag mit dieser Bank (ERP-Kapital für Gründung) über einen Betrag in Höhe von 102.000,00 EUR sowie am 4. August 2012 einen Darlehensvertrag mit den Eltern, wonach diese der Klägerin ein zinsloses Darlehen in Höhe von 30.000,00 EUR zum Erwerb des Reiterhofes gewährt haben. Ab Oktober 2012 wohne sie auf dem Reiterhof mietfrei in einer 45 m² großen Wohnung.

Am 20. September 2012 reichte die Klägerin die entsprechende Veränderungsmitteilung, die Gewerbeanmeldung vom 28. August 2012 zum 10. September 2012 und die ausgefüllte Anlage EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum) ein. Prognostisch schätzte sie ihre Einnahmen für Oktober 2012 auf - 400,00 EUR, für November 2012 auf - 315,00 EUR und für Dezember 2012 auf 1.085,00 EUR. Bei der Frage nach Investitionen verwies sie auf das Unternehmenskonzept, das bereits vorliege. Eine Kopie des Unternehmenskonzeptes "X.... . Pferdehof, Pension, Gastronomie" vom 2. Juli 2012 findet sich in der Leistungsakte des Beklagten.

Der Beklagte bewi...

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