Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Klagefrist. Zustellung des Widerspruchsbescheides durch Empfangsbekenntnis. keine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung bei Abstellen auf die "Bekanntgabe" für den Fristbeginn. Gesetzeswortlaut
Leitsatz (amtlich)
Eine Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung ist in Bezug auf die einzuhaltende Frist korrekt, wenn in ihr auf der Grundlage des geltenden Gesetzeswortlautes von § 66 Abs 1 SGG für den Fristbeginn auf die Bekanntgabe der anfechtbaren Entscheidung abgestellt und nicht zwischen der Bekanntgabe und der Zustellung der Entscheidung unterschieden wird.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für April 2006.
Die 1979 geborene Klägerin bezog seit Januar 2005 zunächst von der ARGE D… (im Folgenden: ARGE) und nunmehr von dem beklagten Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Sie bewohnt eine 49,24 m² große Wohnung, deren monatliche Miete seit dem 1. September 2005 248,66 EUR kalt zuzüglich Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 120 EUR beträgt.
Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 29. Dezember 2005 hin bewilligte die ARGE der Klägerin Arbeitslosengeld II vom 1. November 2005 bis 30. April 2006 in Höhe von monatlich 691,48 EUR unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 360,48 EUR, davon 45,82 EUR Heizkosten.
Im Rahmen des Änderungsbewilligungsbescheides vom 18. April 2006 für April 2006 gewährte die ARGE Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 299,25 EUR.
Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Am 28. Januar 2010 beantragte die Klägerin ohne weitere Begründung die Überprüfung aller Bewilligungsbescheide für den Zeitraum von April 2006 bis April 2010.
Mit Überprüfungsbescheiden vom 4. Februar 2010 wies die ARGE den Antrag zurück. Die Bewilligungsbescheide seien nicht zu beanstanden.
Mit Widerspruch vom 8. März 2010 führte die Klägerin zur Begründung aus, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht im vollen Umfang berücksichtigt worden seien und auch die Warmwasserpauschale nicht in gesetzlicher Höhe abgezogen worden sei. Der Widerspruch wende sich gegen die Absenkung der Unterkunftskosten auf 308,70 EUR.
Die ARGE wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2010 zurück. Die Absenkung der Unterkunftskosten sei entsprechend dem Stadtratsbeschluss vom 24. Februar 2005 erfolgt. Die Rechtsbehelfsbelehrung der Widerspruchsbescheide lautete (auszugsweise):
“Gegen diesen Bescheid kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Dresden, […] Klage erheben. […]„.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Klägerbevollmächtigten ausweislich des Eingangsstempels der Kanzlei am 4. Mai 2010 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Dagegen hat der Klägerbevollmächtigte am 8. Juni 2010 Klage erhoben, welche mit Urteil vom 14. Mai 2012 abgewiesen worden ist. Die Klage sei wegen Verfristung unzulässig. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid datiere vom 3. Mai 2010 und sei dem Klägerbevollmächtigte am 4. Mai 2010 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die Klagefrist beginne somit am Tag nach der Zustellung, also dem 5. Mai 2010. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerseite sei die Rechtsbehelfsbelehrung auch richtig und ausreichend, um den Lauf der Monatsfrist in Gang zu setzen, so dass nicht die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Anwendung komme. Zwar werde in der Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides als Zeitpunkt des Fristbeginns auf die Bekanntgabe und nicht auf den spezielleren Begriff der Zustellung abgestellt, wie dies das Bundessozialgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2008 (Az. B 8/9b SO 13/07 R) fordere. Jedoch sei zu berücksichtigten, dass das Bundessozialgericht den entgegengesetzten Fall entschieden habe und dort nach der förmlichen Zustellung die Rechtsbehelfsbelehrung ebenfalls auf die Zustellung abgestellt habe. Das Sozialgericht hat die Sprungrevision zugelassen.
Gegen das ihr am 4. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. Juli 2012 Berufung eingelegt. Die Klagefrist sei gewahrt. Der Widerspruchsbescheid sei im Sinne von § 85 Abs. 3 Satz 2 SGG i. V. m. §§ 2, 5 Abs. 7 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) förmlich mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Gleichwohl weise der Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung darauf hin, dass die Klagefrist “nach Bekanntgabe„ zu laufen beginne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 27. September 1983 (Az.: 12 RK 75/82) und im Urteil vom 9. Dezember 2008 (Az.: B 8/9b SO 13/07 R) sei hinsichtlich des Beginns der Klagefrist bei förmlicher Zustellung a...